Jedem Suizid geht eine persönliche Tragödie voraus, und immer entdeckt man im Nachhinein ein Zusammenwirken von verletzenden Umgangsweisen, unzulänglichem Beistand und einer besonderen Form von Verzweiflung – Betonung auf "zwei": dem Schwanken zwischen Aggression, dass man sich überhaupt in solch einer Situation befindet und keine Möglichkeit hat, gegen die Auslöser und Ursachen, meist Menschen, vorzugehen, auf der einen Seite – und Kraftverlust und Aussichtslosigkeit auf der anderen, wenn man keine positive Zukunftsperspektive mehr aufbringt.

Man will Frieden – Ruhe und ein Ende des Unerträglichen – und dieses Ende verwirklicht man im eigenen Körper.

Im Klartext heißt dies: Unterdrückte Wehrhaftigkeit, also Aggression nach außen, wird nach innen gerichtet. Bei Amokläufen wie School Shootings findet beides gleichzeitig statt, ebenso, wenn pflegende Angehörige der Belastungssituation durch Fremd- und Selbsttötung ein Ende setzen.

Diese Aggression wäre auch die Kraft, etwas zu ändern – aber damit sie nicht im Keim erstickt, braucht man ein unterstützendes Umfeld, Menschen, die einen ebenso ernst nehmen wie auch die Situation als Ganzes und: die sich nicht von Emotionen – Rachegefühlen gegenüber denen, die "nichts dagegen tun" oder getan haben – antreiben lassen, sondern die Überprüfung der Tatsachen verfolgen, die zu dem schockierenden Verlauf des Verlustes von Lebensmut und Lebenswillen geführt haben.

Zu diesen Tatsachen gehört einerseits das gesellschaftliche Phänomen eines ohne Scham und Reue demonstrierten Hasses, andererseits das Alleinlassen von Menschen, die dringend Verständnis und Beistand bräuchten.

Ich betone und schreibe auch immer wieder: Gegen Gewalt hilft nur Öffentlichkeit – und damit meine ich, dass man bereits dann, wenn man erkennt, dass man "durch feindselige Akte in seinem Potenzial geschädigt wird" (entsprechend der Gewaltdefinition des norwegischen Soziologen und Friedensforschers Johan Galtung), dies anderen Menschen mitteilt – nicht nur den Ämtern und Behörden und nicht nur den Nächststehenden, sondern dem "sozialen System", von dem man Teil ist, Arbeitskollegen, Nachbarn, all denjenigen, die "ein Auge auf Gefahren / Gefährder halten" und im Bedarfsfall helfen bzw. Hilfe holen und zusätzlich im Bedarfsfall Zeugnis ablegen können.

Außerdem kann jeder Mensch mit seinem Beistand Kraft geben und vermehren. Herbert Pietschmann, emeritierter Professor für Theoretische Physik der Universität Wien, nennt dies "Energabe" (in seinem Buch "Energie", Herder 2020) im Gegensatz zur "Nehmergie", wenn jemandem Energie genommen wird – beispielsweise durch verletzende Fehlinterpretationen, die mehr über den eigenen Charakter aussagen als über den Sachverhalt wie etwa die Behauptung, die nunmehr tote Allgemeinmedizinerin Lisa-Maria Kellermayr hätte sich mit ihren Beschwerden nur aus Karrieregründen in die Öffentlichkeit drängen wollen.

Angst auslösen, Energie nehmen, zunichtemachen – das ist aber auch das Ziel jedes Terrorismus – und Hass zu verbreiten, ist eine der dazu eingesetzten Methoden.

Die Menschheitsgeschichte ist voll von Beispielen, wie Pogrome und Massaker mit dem Aufbau von Verschwörungsnarrativen und Feindbildern begonnen haben und wie dadurch Menschen, die sich sozial unterlegen und benachteiligt fühlen, von Demagogen als Anhänger – und Werkzeuge – gewonnen werden konnten. Dass dabei Medien eine unterstützende Rolle spielen (können), hat die Propagandamaschinerie des Nationalsozialismus deutlich gemacht. Heute sind es die sogenannten sozialen Medien, in denen unter dem Deckmantel angeblicher Meinungsfreiheit jeder seinen seelischen Stoffwechsel defäzieren kann. Und wieder nutzen dies Demagogen, um ihren willigen Gefolgsleuten die dazu dienlichen "Abführmittel" zu verpassen.

Beschimpfungen oder gar Drohungen sind keine Meinung – sie sind eine Selbstdarstellung. Eine Meinung wird zu einer solchen nur, wenn man in deklarierter Ich-Form "Stellung" bezieht, das heißt, im eigenen "Revier" bleibt – das besagt ja auch der Wortteil "mein" – und dies auch begründen kann.

Die Unterordnung dieser weitgehend der Selbstverantwortung preisgegebenen Medien unter das jeweilige Medienrecht erscheint dringend notwendig – ebenso wie die Einrichtung professioneller Kontrolle.

In Ergänzung dazu plädiere ich aber bei allem Verständnis für das Bedürfnis nach persönlicher Entlastung dafür, die soziale Verantwortung, die uns alle trifft, nicht bloß auf "Experten" (Polizisten, Juristen, Angehörige von Psycho-Berufen etc.) hinweg zu delegieren. Wir sollten Hass nicht mit Hass beantworten (lassen). Das führt nur zu Eskalation und weiteren "Kriegshandlungen".

Aus mediatorischer Sicht gilt es, die Wurzel des Hasses aufzuspüren, deren sozial akzeptablen Anteile zu betonen und den Prozess der Auseinandersetzung gewaltverzichtend – was nicht heißt, keine Grenzen zu setzen – zu verändern.

Im konkreten Fall des Cyberterrors gegen Doktorin Kellermayr vermute ich dazu nicht nur die Position radikaler Impfgegner, sondern auch feindselige Gefühle gegen Menschen in gesellschaftlich hoch angesehenen Berufen, besonders wenn es Frauen sind. All diese Motive lassen sich im wertschätzenden Dialog (nach der "Methode" von Martin Buber und David Bohm) erfolgreich thematisieren: Man muss nur versuchen, den anderen Menschen in seinem augenblicklichen Standpunkt – der sich ja verändern lässt, wenn man dazu bereit ist – zu verstehen und auf eigene Gewaltimpulse, wie beispielsweise Veränderungsdruck, zu verzichten. Deeskalation heißt das. (Es gibt bereits Lehrkräfte, die dies als "soziales Lernen" in den Schulunterricht integrieren, wie die von mir ausgebildeten PROvokativpädagoginnen und -pädagogen – nicht zu verwechseln mit ähnlich klingenden Konkurrenzangeboten.) Dazu wären speziell ausgebildete "Tutoren" hilfreich: erstens als "Heiler einer hassvergifteten Gesellschaft", zweitens als Vorbilder korrekter Kommunikation dissidenter Ansichten, drittens als Vertreter einer sozialen Gemeinschaft, die nicht ausgrenzt und nicht zuletzt als Anwälte der Betroffenen.

Was aber auch thematisiert gehört, ist der geistige Zustand von Hatern: Hassimpulse unbedacht an anderen Menschen auszulassen, ist eine massive gesundheitliche Schädigung und einer je nachdem leichten oder schweren Körperverletzung gleichzusetzen, was sie ja auch ist, wie dank der bildgebenden Verfahren mittels Gehirnscan nachweisbar (Joachim Bauer, "Schmerzgrenze", Karl Blessing Verlag 2011). Auch dieses Wissen gehört in den Schulunterricht – zur Biologie wie auch zur Ethik. Deswegen bin ich für verpflichtenden Ethikunterricht für alle.

Es ist eine Folge von Hassattacken, dass sich der seelisch-geistige Zustand der so Belasteten (nicht nur Belästigten) verschlechtert – und es darf kein "Ist ja eh wieder gut"-Nachteil daraus entstehen, wenn sie mit psychotherapeutischer Unterstützung die Schäden "überleben". Behandelt gehört der Hass – individuell wie auch kollektiv.