Das Tauziehen um Modellversuche zur gemeinsamen Schule der Zehn- bis 14-Jährigen eint Befürworter und Gegner zumindest in einem Punkt: "Es gibt keine Bildungspolitik mehr, sondern nur die Diskussion Gesamtschule oder nicht - ich halte es schön langsam nicht mehr aus", so der oö. Landesschulratspräsident Fritz Enzenhofer Montagnachmittag stellvertretend bei einer Podiumsdiskussion der Uni Wien.

Fehlende Forschungsergebnisse

Der Bildungswissenschafter Stefan Hopmann (Uni Wien) verwies darauf, dass es weder empirische Beweise für die Überlegenheit der Gesamtschule oder eines gegliederten Schulsystems gebe. "Ich wäre sofort für die Gesamtschule, wenn es Forschung darüber gäbe, dass diese Maßnahme das erreicht, was sie erreichen soll." Bei der immer wieder zitierten PISA-Studie hätten Gesamtschulsysteme sowohl bessere als auch schwächere Ergebnisse erzielt als gegliederte Systeme. Auch ein Verweis auf erfolgreiche Gesamtschulländer wie Finnland helfe da nicht: "Woher weiß ich denn, dass es ausgerechnet an der Schulstruktur liegt, dass sie sind, wie sie sind?"

Ein Gesamtschulsystem habe "keine klaren Effekte auf Equity", also Gleichheit bzw. Bildungsgerechtigkeit, meinte Hopmann. Auf "Excellence" gebe es sehr unterschiedliche Auswirkungen - je nachdem, ob man auf Spitzenleistungen achte, verschiedene Fächer betrachte oder das akademische Selbstkonzept heranziehe. Dazu komme, dass innerhalb der Gesamtschulsysteme die Segregation sowohl räumlich als auch etwa bei der Zuordnung der Schüler am Vormarsch sei.

Gezielte Interventionen sinnvoller

"Sinnvoller, als diesen blöden Streit weiterzuführen", wäre es, Geld in die Hand zu nehmen und mit gezielten Interventionen jene Schüler zu unterstützen, die Hilfe brauchen. "Mit den Modellversuchen ist nichts mehr zu lernen, was wir nicht eh schon seit 70 Jahren wissen", meinte Hopmann. "Zu glauben, dass das Erziehungssystem das Problem der Ungleichheit lösen kann, ist eine Überforderung des Systems - es wäre schon gut, wenn es das Schulsystem nicht schlimmer macht."

Auch für den ehemaligen Leiter des Bundesinstituts für Bildungsforschung, Günter Haider, ist "die derzeitige Diskussion über die Modellversuche an Lächerlichkeit nicht zu überbieten". In der Schule gebe es ja auch reale Probleme, die wiederum andere als die von Politikern diskutierten seien. "Ich habe 25 Schüler in einer Volksschulklasse. Sieben können schon wunderbar lesen, sieben verstehen mich kaum, und der Rest ist dazwischen - also das, was man Heterogenität nennt."

"Nebengeräusche"

Haider sprach sich trotzdem für eine gemeinsame Schule aus - weniger wegen zu erwartender positiver Effekte als zur Vermeidung negativer. Die Trennung der Kinder mit zehn Jahren verursache doch einige "Nebengeräusche". Allerdings würde er sich von der Politik auch eine Prioritätenliste erwarten - und da stehe die Gesamtschule nicht ganz oben. "Stattdessen zieht man aber immer wieder den Kasperl aus dem Sack und sagt: Machen wir wieder ein bisschen Gesamtschule oder schaffen wir wieder einmal die Noten ab."

Etwas aus der Reihe tanzte der AHS-Lehrer und Grüne Bildungspolitiker Daniel Landau. Für ihn ist die Strukturfrage durchaus wesentlich. Dadurch würden die AHS-Lehrer den "Luxus verlieren, Kinder in eine tiefere Ebene abschieben zu können". Damit konnte er wiederum Hopmann nicht überzeugen. Er sei zwar auch dafür, bereits an einer Schule aufgenommene Schüler nicht mehr von dieser verweisen zu dürfen - "und da kann ich Ihnen noch schlimmere Schwächen der Gymnasialkonstruktion aufzählen". Allerdings bringe es nichts, seine ganze Energie in die falsche Stelle zu stecken, anstatt sich auf Maßnahmen zu konzentrieren, die den Lehrern helfen, mit der Differenz in den Klassen klarzukommen.