Der Tag ist der erklärte Feind von Richard Wagners Liebespaar Tristan und Isolde, denn die helle Ödnis entstellt ihre Liebe und holt sie auf den Boden der schnöden Realität zurück. Aber bei Calixto Bieito bietet auch die Nacht keine Erfüllung für diese verzweifelt Liebenden. Seine Inszenierung macht „Tristan und Isolde“ zum nachtschwarzen Endzeitstück: Die Dunkelheit hat etwas Dialektisches, weil der dort beheimateten Ekstase etwas Selbstzerstörerisches innewohnt. Tristan wird bei Bieito auch nicht vom intriganten Melot verletzt, sondern verrichtet das Handwerk des Todes selbst.

Tod und Liebe verrinnen in der Bildwelt des Regisseurs ineinander: Ein Wald aus Kinderschaukeln im ersten Aufzug, erst noch von Kindern mit Augenbinden besetzt, dann geleert. Zwei weit über dem Boden schwebende und schwankende Zimmer, deren Interieurs die voneinander getrennten Liebenden in leidenschaftlicher Wut zerlegen. Das fast ausgetrocknete Meer ist nur noch eine knöcheltiefe Pfütze. Und am Ende jede Menge nackter Leiber in sterilen Arrangements zur Illustration von Verletzlichkeit und Vergänglichkeit.

Bieitos assoziative Rätsel-, Traum- und Wahnbilder erinnern an den Surrealismus eines René Magritte, doch der Regisseur setzt auch immer wieder ganz Konkretes dagegen. Selten sieht man Tristan und Isolde in solcher Intensität einander verfallen, selten gab es eine so anrührend direkte Lösung wie zum Finale, bei dem Isolde in hilfloser Verzweiflung mit Tristans Leiche ein normales Leben imitiert.

Das Scheitern der Liebe

Die Oper zählt ja zu den am allerschwersten zu inszenierenden, weil es bei Wagner fast nur um innere Vorgänge geht und die äußere Handlung geradezu lachhaft dürftig ist und sich auf ein paar wenige Takte beschränkt. Bieitos (von einigen Premierenbesuchern heftig ausgebuhte) Lesart zeigt, dass „Tristan und Isolde“ kein Hohelied der Liebe ist, sondern ein Psychodrama zweier Scheiternder. Das passt, weil bei Wagner selbst nicht einmal die finale „Verklärung“ Isoldens (später „Liebestod“ genannt) eine Erfüllung darstellt, sondern die hysterische musikalische Überspitzung jener genialer Musik aus dem zweiten Akt ist. Der „Liebestod“ ist ein Scheitern in der Vereinsamung, die Beschwörung von etwas, das sich nicht mehr beschwören lässt.

Martina Serafin singt das Finale ohne vokalen Zauber, aber sie singt auch nach vier Stunden noch: Sie ist eine ausdauernde Expressionistin, eine vokal scharfkantig Leidende, deren Stimme sich über die Orchesterfluten erhebt. Ähnlich Andreas Schager, der vielleicht gar nicht das volle Volumen für einen schweren Heldentenor mitbringt, dies mit schimmerndem Metall aber mehr als wettmacht. Einen so durchschlagskräftigen und ausdauernden, sich niemals schonenden Tristan hat man kaum je gehört, und schon gar keinen, dem dabei so gut wie nie die Kräfte versagen.

René Pape bleibt als Marke die Konturen schuldig, glücklicherweise hört man seine Stimme im zweiten Aufzug angesichts des ausgedünnten Orchesterparts überhaupt: mild und warm. Im dritten Akt geht er völlig unter, wobei der Musikdirektor es mit der Lautstärke immer wieder einmal übertreibt. Philippe Jordan nimmt die Musik sonst an die Zügel, sorgt für Ordnung und meidet den Kitsch, bietet aber auch keinen Klangzauber. Das Staatsopernorchester hätte bei dieser Partitur mehr zu bieten als „nur“ solch hohes Niveau. Sehr gut Ekaterina Gubanova als Brangäne, mit vibratosatten „Wehe“-Rufen und sinnlichem Klang, im dritten Akt gewinnt Iain Paterson als Kurwenal enorm an tragischem Profil.

Bewertung: ****

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