Als im Frühling 1986 die verleugnete NS-Vergangenheit Kurt Waldheims entlarvt wurde, stellte sich Ruth Beckermann eine Frage: "Demonstrieren oder dokumentieren?" Die Regisseurin tat beides - und verbindet ihre Aufnahmen 32 Jahre später mit internationalem Archivmaterial zum so spannenden wie relevanten Doku-Essay. Am Samstagabend feierte "Waldheims Walzer" Weltpremiere im Berlinale Forum.

Der Wiener Stephansplatz im Mai 1986: Ruth Beckermann ist als Aktivistin wie auch als Chronistin mit einem der ersten tragbaren Videogeräte dabei, als der ehemalige UN-Generalsekretär und nunmehrige Bundespräsidentschaftskandidat Kurt Waldheim seine Abschlusskundgebung abhält. Demonstranten rufen "Waldheim nein!", Anhänger provozieren mit antisemitischen Parolen. Wenige Monate zuvor hatte der Jüdische Weltkongress (JWC) in New York Dokumente vorgelegt, die Lücken in Waldheims Schilderungen seiner letzten Kriegsjahre offenbarten: Ganz bewusst habe er u.a. seinen Dienst im Stab des Wehrmachtgenerals und Kriegsverbrechers Alexander Löhr und seine Anwesenheit in Saloniki während der Massendeportation von Juden im März 1943 verschwiegen.

Die darauffolgende Debatte rekonstruiert Beckermann mit einer stimmigen Kompilation aus eigenen, kürzlich wieder aufgetauchten Schwarz-Weiß-Aufnahmen und zusammengetragenem Fernsehmaterial aus den Archiven von u.a. BBC, ORF und ABC; hinzu kommt ihr analytischer Off-Kommentar. Der Fokus liegt auf dem Zeitraum vom Bekanntwerden der Vorwürfe im März bis zum zweiten Wahlgang im Juni: Bei Pressekonferenzen des Jüdischen Weltkongresses und in Debatten der UN-Generalversammlung ist man um Aufklärung bemüht, während der damalige ÖVP-Obmann Alois Mock vor den Kameras allen Ernstes die Aufdecker des JWC als "ehrenlose Gesellen" diskreditiert und Waldheim sich in Interviews in eine Rechtfertigungsschleife begibt, die einen an aktuelle Rechtspopulisten in den USA, Ungarn oder Österreich denken lässt: Ausländische Einflüsse, Medien und Linke führten eine Kampagne gegen ihn; er habe ein ruhiges Gewissen, und als Soldat nur seine "Pflicht erfüllt".

Was das in Gang setzt, machen die erschreckendsten Passagen des Films klar: Bei Wahlkampfveranstaltungen scheinen sich Waldheim-Anhänger soweit in ihrem Gedankengut bestärkt zu fühlen, dass sie ihren Judenhass stolz nach außen tragen. Überhaupt lässt Beckermann gekonnt jene Szenen ungeschnitten und unkommentiert, die in ihrer Unglaublichkeit für sich stehen. So auch die stärkste Szene des Films, die von Schweigen und Widersprüchen geprägte Verteidigung Waldheims durch seinen Sohn Gerhard Waldheim vor dem US-Kongress.

Regisseurin Ruth Beckermann
Regisseurin Ruth Beckermann © Nicholas Martin

Nicht zufällig bezeichnet Beckermann Waldheim im Film durchgehend als "der Kandidat" - steht er doch symbolisch für Rechtspopulisten, die damals wie heute in Wahlkämpfen und darüber hinaus auf "alternative Fakten", Hetze und Antisemitismus setzen. Junge Menschen aus der Generation ihres Sohnes, die damals noch nicht einmal geboren waren, hätten sie zu "Waldheims Walzer" angestachelt, sagt Beckermann in den Presseunterlagen.

Habe die Waldheim-Affäre zur längst überfälligen Aufarbeitung der Lüge von Österreich als "erstem Opfer Adolf Hitlers" geführt, passiere heute das Gegenteil: FPÖ-Politiker wie Norbert Hofer und H.C. Strache "benutzen Elemente aus der Ideologie des Nationalsozialismus, um die Zukunft zu gestalten", so Beckermann. "Um das zu verdecken, üben sie ein scheinheiliges Gedenken. Das ist das Schlimme an der aktuellen Entwicklung."

Höchst aktuell, kurzweilig und aufschlussreich, ist "Waldheims Walzer" Beckermanns bereits fünfter Beitrag in der renommierten Sektion Forum der Berliner Filmfestspiele. Bei der Diagonale (13. bis 18. März) in Graz folgt die Österreichpremiere; der Kinostart ist für Herbst vorgesehen.