Jürgen Roth, Vizepräsident der österreichischen Wirtschaftskammer, blickte von der Hotelbar auf die vielen bunten Baukräne im Hafen von Hongkong und musste an daheim denken: „Hier in China erlebt man Veränderung und Dynamik, wohin man schaut. Bei uns wartest du einmal drei Jahre auf die Abbruchbewilligung und dann noch einmal drei Jahre für den Baubescheid. In der Zeit ist man hier schon zweite Reihe, weil vorne schon wieder aufgeschüttet wird.“ Insbesondere im Export sei Österreich in Sachen Wettbewerbsfähigkeit gefordert, „sonst werden wir unseren Wohlstand nicht halten können“.

Roth war Mitglied einer steirischen Delegation aus Politik und Wirtschaft, die soeben eine mehrtägige China-Reise beendete. Sie führte von Schanghai über Guangzhou nach Hongkong. Alle drei Millionenmetropolen boten Anschauungsunterricht in Sachen Tempo und Transformation. „Die Geschwindigkeit, mit der sich China erneuert, raubt einem den Atem, auch wenn man seit Jahren hier lebt“, berichtete der Chef des hoch erfolgreichen Andritz-Werkes in China, Thomas Schmitz, den österreichischen Besuchern. Den alten Zuschreibungen hat sich das Land längst entzogen. Es häutet und verwandelt sich – vom imitationssüchtigen Reich der Billigindustrie zum Schrittmacher in den Bereichen Hochtechnologie, Robotics, Big Data und Digitalisierung. In Schanghai besuchten die steirischen Delegierten ein Pflegezentrum, wo Vitaldaten von 400.000 Patienten, die im nahen Umfeld zu Hause leben, über Bettsensoren auf einen zentralen Bildschirm übertragen werden. So erfahren Ärzte, was einem Patienten, in welchem Wohnblock gerade fehlt und was er braucht. George Orwell als Pfleger.

Nischen-Exzellenz

Draußen auf den Straßen hat das Zweirad wieder Saison: Die Bewohner können das nächste freie über eine App orten, mittels QR-Code beliebig lang benützen, an jedem Ort der Stadt abstellen und mit automatischer Abbuchung auch gleich zahlen. Die flotten gelben Räder prägen das Stadtbild und sind so beliebt wie die lautlosen Elektromopeds. „Die Elektrifizierung der Mobilität wird hier in China passieren, und zwar aus purer ökologischer Notwendigkeit, und nicht in Europa, wo sie auf Zweit- und Drittautos von Wohlstandsbürgern beschränkt bleibt“, prophezeite der steirische Industriellen-Chef Georg Knill.

Der Weizer ist einer jener heimischen Unternehmer, die das erwachte Umweltbewusstsein Chinas und die forcierte Digitalisierung mit technologischer Nischen-Exzellenz zu nutzen wissen: Seine Firma Rosendahl Nextrom ist Großkunde der chinesischen Futong-Gruppe, des weltweit drittgrößten Glasfaserproduzenten. Die Knill-Tochter liefert die Maschinen. Der Glasfasergigant plant die Errichtung eines Werkes zur Kabelerzeugung in Europa. Ursprünglich wurde die Slowakei ins Auge gefasst, es laufen aber Verhandlungen, die Ansiedlung in der Region Weiz zu verwirklichen. Sie brächte Hunderte Arbeitsplätze.

Automatisierung, Big Data, künstliche Intelligenz

Die Landesspitze mit Hermann Schützenhöfer und Michael Schickhofer führte am Unternehmenssitz in Jiashan Gespräche mit der chinesischen Konzernführung. Die Chancen seien intakt, hieß es. Der Futong-Chef ist nicht nur Stammgast auf der „Forbes“-Liste, er ist auch Abgeordneter zum Volkskongress. Politik und Wirtschaft sind in China ein siamesisches Paar. „Damit muss man umgehen können“, so Knill, „es ist aber mit ein Grund, warum der Wandel in China so rasant und konsequent vollzogen wird.“ Das politische System sei zwar weder Vorbild noch Inspiration, räumte Kammerfunktionär Roth ein, die Dynamik und die Entschlossenheit sind es aber schon: „Google und Facebook legen gerade für den Datentransfer elf superschnelle Kabel unterirdisch nach Hongkong. Wir daheim brauchen Jahre, um die Täler mit Breitband zu erschließen.“ Wer die Daten habe, habe die Zukunft. „Automatisierung, Big Data, künstliche Intelligenz – werden wir da auch so gut abschneiden wie in den Lehrlingsolympiaden?“ Die Stagnation Österreichs sei alarmierend, sagte Roth und verwies auf die Wandzeichen: Erstmals seit langer Zeit war der Export im Vorjahr rückläufig.

Triple A: AT&S, Andritz und AVL

Es gibt leuchtende Gegenbeispiele, von ihnen geht Ermutigung aus. Das gilt nicht nur für AT&S, Andritz und AVL, das steirische „Triple A“. Günter Dörflinger, Manager der Christof-Gruppe, präsentierte in China ein innovatives, vom Robert- Koch-Institut mitentwickeltes Verfahren zur Entgiftung medizinischen Abfalls vor Ort. Das Gerät erinnert an einen High-tech-Geschirrspüler. Die Grazer Firma BDIBioenergy wiederum erzeugt in Hongkong Biodiesel aus Speiseabfällen. Das Unternehmen AHT aus Rottenmann baut in China Kühlanlagen, der Beleuchtungsspezialist XAL punktet auch im Reich der Mitte mit der Symbiose von Technik und Ästhetik.

Vorbildhaft würden all diese Unternehmen zeigen, dass man in einem 1,3-Milliarden-Markt mit Innovation und Nischen-Kompetenz bestehen kann, bilanzierte LH Hermann Schützenhöfer am Ende der Reise im diskreten „Hongkong-Club“, in den der österreichische Reeder Helmut Sohmen geladen hatte.

An den Stärkefeldern Forschung, Wissenschaft und grüner Technologie werde das Bundesland mit verstärkter Intensität festhalten, ein Markt wie China habe die Richtigkeit und Wichtigkeit der Positionierung vor Augen geführt – freilich auch das Ausmaß der Herausforderung. „Das niederregulierte uneinige Europa ist akut gefährdet“, so Schützenhöfer. Dem Befund schloss sich auch Michael Schickhofer in China an: „Die EU braucht dringend eine neue Verfassung, damit sie wieder handlungsfähig wird. Fällt sie zurück in die Kleinstaaterei, hat der Kontinent gegen diese Kampfansage Chinas keine Chance und geht unter.“