Sie haben schon kurz nach der Präsentation zur Kassenreform durch die Regierung von „Fusions-Chaos“ gesprochen und davon, dass „Streik immer eine Option“ sei. Warum gleich diese schweren Geschütze?

RENATE ANDERL: Nach möglichen Streiks wird man von Journalisten gerne gefragt, so war es auch am Freitag. Aber ich betone, dass es das Letzte ist, was wir wollen. Vielmehr wollen wir tatsächliche, ernsthafte und konkrete Verhandlungen mit der Regierung, damit die Expertisen der Arbeitnehmervertreter auch noch Eingang in das Vorhaben finden. Das wäre mein Herzensanliegen. Gespräche hat es gegeben, aber unsere Sichtweisen wurden nicht wirklich aufgenommen. Zufrieden sind wir mit dieser Gesetzesvorlage daher gar nicht, dennoch ist ein Streik die letzte Instanz, Streiks kann es geben, wir wollen sie aber nicht.

Sie haben gemeint, der Gesetzesvorlage müssten noch „Giftzähne“ gezogen werden. Welche?

ANDERL: Uns stört, dass in einer Selbstverwaltung jene, die einzahlen, also die Arbeitnehmer, das sind sieben Millionen Menschen, ihr Geld nicht mehr selbst verwalten dürfen, sondern die Arbeitgeber gleiches Mitspracherecht erhalten. In unseren Augen gibt es dann die Selbstverwaltung nicht mehr. Das führt zu einer Übermacht der Unternehmen in den Krankenkassen. Hier gibt es eine Gesetzesvorlage, wo aus unserer Sicht noch ganz, ganz viel offen ist und entsprechend viel repariert gehört, etwa auch bei den Beitragsprüfungen.

Was genau?

ANDERL: Die Beitragsprüfungen sollen künftig nicht mehr die Sozialversicherungen machen, sondern die Finanz. Die Sozialversicherung prüft aber immer schon, ob die Menschen im richtigen Kollektivvertrag eingestellt und ordentlich bezahlt werden, das würde die Finanz dann nicht mehr machen.

Sie zweifeln in diesem Zusammenhang auch die Verfassungskonformität an. Würden Sie sich einer etwaigen Verfassungsklage der Gewerkschaft gegen dieses Gesetz anschließen?

ANDERL: Wir werden jetzt einmal alles ganz intensiv analysieren. Und wenn es da etwas gibt, was nicht verfassungskonform ist, und der ÖGB Schritte einleitet, dann wird sich die Arbeiterkammer natürlich anschließen.

Argumentiert wird damit, dass es gescheiter ist, Strukturen zu verschlanken, als bei Leistungen einsparen zu müssen. Dem können Sie nichts abgewinnen?

ANDERL: Diese Argumentation irritiert uns. Die Bundesregierung spricht davon, dass man eine Milliarde Euro einsparen kann, sagt aber nicht, wie. Sie konnte uns auch nicht sagen, wie hoch die Fusionskosten sind. Der Verwaltungsaufwand im Sozialversicherungssystem liegt bei 0,8 Prozent, es zählt zu den effizientesten überhaupt. Wir sehen die Gefahr, dass das, was hier unter Einsparen genannt wird, in Wahrheit Kürzungen sind. Es braucht einen längeren Fahrplan, bei dem alle eingebunden werden, denn so ist das jetzt ein Husch-pfusch-Gesetz.

Aber über strukturelle Reformen in diesem Bereich wird ja schon seit Jahren diskutiert. Ist es da nicht nachvollziehbar, dass man auch einmal sagt, wir müssen auch tun und nicht nur reden?

ANDERL: Mit uns hat diese Bundesregierung aber noch nie darüber verhandelt. Es gibt neue Präsidenten bei den Sozialpartnern und die neue Bundesregierung. Das wäre doch eine Chance gewesen, zu sagen, wir setzen uns an einen Tisch und führen echte Verhandlungen darüber.

Die AK hat auch kritisiert, dass es der Regierung bei der Reform nur um „Macht, Geld und Einfluss“ ginge. Der Konter in Richtung AK klingt aber ähnlich, einige Vertreter der Regierungsparteien meinen, dass es Ihnen nur um den Erhalt von Funktionärsposten und Macht bei den Sozialversicherungen geht. Wie bewerten Sie diesen Vorwurf?

ANDERL: Es ist derzeit ein Mittel der Bundesregierung, Funktionäre in ein schlechtes Licht zu drängen. Die Funktionäre in den Krankenkassen sind zum überwiegend größten Teil jene, die dort von ihren Versicherungsvertretern hineingeschickt werden, die dafür kein hohes Gehalt, sondern nur ein wenig Sitzungsgeld bekommen. Wir führen keine Funktionärsdiskussion, ich möchte eine Patienten-, eine Versicherungsdiskussion führen. Wir sind nicht die, die sagen, es muss alles bis zum letzten Stein gleich bleiben, aber wir wollen verhindern, dass nicht die Versicherten der Gebietskrankenkassen die sind, die dann in Wirklichkeit die ganze Last tragen. Und danach sieht es derzeit aus. Wir sind am Weg zur Drei-Klassen-Medizin.

Warum?

ANDERL: Wir haben ganz oben eine tolle Versicherung für Politiker und Beamte, dann die Selbstständigen und als dritte und unterste Kasse die neue Österreichische Gebietskrankenkasse, die ÖGK.

Woraus speist sich Ihre Ansicht, dass die ÖGK die unterste davon ist?

ANDERL: Es wird immer gesagt, gleiche Beiträge, gleiche Leistungen. Wir diskutieren derzeit aber nur über die Gebietskrankenkasse. Und genau dort dürfen die, die einzahlen, nicht mehr wirklich über ihre Leistungen entscheiden. Das ist das gravierende Problem.

Haben die Sozialpartner nun gar nichts mehr mitzureden?

ANDERL: Nehmen wir das Beispiel des Zwölf-Stunden-Gesetzes. Da wurden wir gar nicht gefragt, es gab keine Begutachtungsfrist. Wir konnten unsere Anliegen nicht einbringen. Jetzt hat die Regierung diesen ersten Schritt gesetzt, dass wir uns an einen Tisch gesetzt haben und zumindest einige Informationen erhalten haben. Ein Schritt in die richtige Richtung, aber eben keine Verhandlungen. Ich appelliere an die Bundesregierung, dass Sozialpartner wieder ins Boot geholt werden.

Von Regierungsseite wurde wiederholt kritisiert, dass AK und Gewerkschaft nur noch Oppositionspolitik betreiben würden.

ANDERL: Das sehe ich absolut nicht so. Wir beurteilen eine Regierung danach, was sie für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Land tut. Wenn etwas Positives passiert, nehmen wir das ebenso auf. Vor Kurzem hat ÖVP-Klubobmann Wöginger gemeint, er sei dafür, dass man die Elternkarenz, wenn sie nicht über die Kollektivverträge geregelt wird, auf gesetzlicher Basis umsetzt. Das haben wir sofort unterstützt.

Wie sieht's mit dem Binnenklima der Sozialpartner aus? Die Konflikte zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern scheinen immer heftiger zu werden.

ANDERL: Ich würde einmal sagen, es könnte besser sein.

Und wird es wieder besser?

ANDERL: Wir waren im Sommer im Dialog und es gibt auch bereits drei Termine für den Herbst. Es ist also nicht so, dass wir nicht miteinander sprechen. Es geht etwas zögerlicher, aber ich gehe von positiven Schritten aus.

Der Start der KV-Verhandlungen bei den Metallern steht an, halten Sie es für richtig, dass die Kritik am Arbeitszeitgesetz in die Lohnrunden getragen wird?

ANDERL: Ja, weil das Arbeitszeitgesetz vor allem auf Kosten der Beschäftigten geht. Bei Kollektivvertragsverhandlungen ist es immer das Anliegen der Gewerkschaften, mehr für die Beschäftigten zu erreichen. Dass die Gewerkschaften jetzt versuchen, auf Basis dieser neuen Gesetzeslage, die Kollektivverträge so zu gestalten, dass es positive Effekte für die Beschäftigten gibt, das hat es immer gegeben.

Am Mittwoch lädt die Regierung auch die Sozialpartner zum Jobgipfel. Ihre Erwartungen?

ANDERL: Wir haben eine Einladung erhalten und werden den Termin als AK natürlich wahrnehmen, auch wenn das alles sehr kurzfristig ist. Wir sind gut vorbereitet und werden die Anliegen der Beschäftigten bei der Bundesregierung vorbringen, insbesondere, wenn es darum geht, wie es Menschen am Arbeitsmarkt geht und welche Qualifikationen nötig sind.