Vordergründig haben die beiden Ereignisse – außer ihrer zeitlichen Nähe – gar nichts miteinander zu tun. Vordergründig.

Die erste Geschichte spielt in der Stadt Tempe, Arizona, im Südwesten der USA. Mit 60 Kilometern pro Stunde bewegt sich ein selbstfahrendes Auto des Fahrdienstleisters Uber über die Fahrbahn. Hinter dem Lenkrad sitzt jemand, der in Notfällen eingreifen soll. Als plötzlich eine Frau auf die Straße geht, kommt jede Hilfe zu spät. Sie wird vom Roboterauto erfasst und stirbt kurz später.

Geschichte zwei hat auf den ersten Blick eine weniger dramatische Attitüde und mit Christopher Wylie gar ein buntes Gesicht mit rosa gefärbten Haaren. Als „Whistleblower“ verrät er Medien Details über die Arbeitspraktiken in seinem Ex-Unternehmen Cambridge Analytica (der Chef wurde gestern suspendiert). Dieses habe während des US-Wahlkampfes Facebook-Profildaten von 50 Millionen Nutzern abgeschöpft – ohne deren Zustimmung und Wissen. Die illegal geschürften Daten seien dann für maßgeschneiderte Werbung verwendet worden. Auftraggebende sollen im Wahlkampfteam Donald Trumps zu finden sein, also jenem Mann, der als 45. US-Präsident im Oval Office regiert.

Frage nach Schuld und Unschuld im Hintergrund

Zurück nach Arizona und Ubers Roboterauto. „Es ist klar, dass dieser Zusammenstoß in jedem Modus, ob autonom oder manuell, schwer zu verhindern gewesen wäre“, lässt die dortige Polizeichefin Sylvia Moir wissen. Die verunglückte Frau sei „direkt aus dem Schatten auf die Fahrbahn getreten“. Die Relativierung geht in der Aufregung rund um die Gefahr einer neuen Technologie unter.

Ebenso wenig bedeutsam scheint, dass Facebook im Fall von Cambridge Analytica – erstmals wurde über diese Geschichte vor zwei Jahren berichtet – selbst Opfer eines Betrugs geworden sein könnte. Die Datensätze sollen gegen die Bestimmungen des Netzwerks verwendet und abgesaugt worden sein.

Facebook könnte es dennoch an den sprichwörtlichen Kragen gehen. Der Konzern geriet jüngst in die Bredouille, als sich Nachrichten mehrten, wonach Russland via Facebook den US-Wahlkampf massiv beeinflusste. In der hitzigen Debatte um Datenmissbrauch will Großbritannien wissen, ob Facebook nach dem Datenverlust entschlossen gehandelt und rechtzeitig informiert hat. US-Senat und EU-Parlament fordern von Facebook-Boss Mark Zuckerberg Aufklärung.

Kontrollverlust?

Der zunehmende Gegenwind, der durch diese Ereignisse noch an Schärfe gewonnen hat, findet seine Klammer in einer begrifflichen Zuspitzung, die immer mehr Aufmerksamkeit und Relevanz erhält. „Techlash“ nennt man den zunehmenden Kontrollverlust der rasant gewachsenen IT-Konzerne. Auch gibt die Wortkreation aus Technologie und „Backlash“ (Gegenreaktion) die „Sehnsucht nach einem menschlicheren Kapitalismus“ (Autor Johannes Kuhn) wieder. Den Nährboden dafür bereiteten die Konzerne freilich selbst auf.

Neben der Marktdominanz, den technologisch wie rechtlichen Grenzgängen, die vielfach die Geschäftsmodelle zumindest mitbegründen, übt auch der systemimmanente Hang zur Steueroptimierung Einfluss auf das Image aus.

"Menschen fühlen sich von Technologien überrumpelt"

Der Aufstand gegen die Tech-Giganten gewinnt in Zeiten wie diesen rasch an Breite. Der Technologieforscher Andreas Reiter (ZTB) verweist auf das Spannungsfeld zwischen Nützlichkeit, Abhängigkeit und Misstrauen. „Die digitale Welt wird letztlich von einigen wenigen Riesen beherrscht, diese Macht sorgt für Unbehagen, gleichzeitig wissen wir, wie enorm abhängig wir mittlerweile etwa von digitalen Plattformen sind. Und die Konzerne wissen das auch.“ Daraus speise sich die Emotionalität dieser Debatten und bisweilen auch der Widerstand, wie sich an der „Techlash“-Bewegung zeige, so Reiter.

„Viele Menschen fühlen sich von Technologien überrumpelt.“ Das sei kein neues Phänomen – Reiter verweist auf die ersten Eisenbahnfahrten im 19. Jahrhundert, die als „Teufelswerk“ skandalisiert wurden. Tempo und Intensität der Weiterentwicklungen, verstärkt durch digitale Echokammern, sorgen nun für Ohnmachtsgefühle, sowohl bei Konsumenten als auch bei Staaten, die an vernünftigen Regulierungen scheitern. Bei jüngeren Menschen, die in der digitalen Welt aufwachsen, würden Themen wie Datenschutz indes „häufig einen erschreckend geringen Stellenwert einnehmen“, sagt Reiter.