Distanz wirkt enthemmend. Schon zwei Meter Entfernung zum Gegenüber reichen aus, um Empathie zu verringern. Das stellten jüngst Forscher aus Padua fest und erklärten damit wohl eine Paradedisziplin des Geburtstagskindes.

Am 4. Februar wird Facebook 15 Jahre jung. Und neben dem Verweis auf nützliche Eigenschaften wie der Verwaltung von Veranstaltungen oder dem einfachen Kontakt zu weit entfernten Verwandten, wird dabei sicher vielerorts auch über den aggressiven Ton im digitalen Wohnzimmer debattiert. Dieser, „hate speech“ oder Hassrede genannt, zeichnet möglicherweise auch dafür verantwortlich, dass vier von zehn Nutzern einer groß angelegten US-Studie berichten, bereits längere Facebook-Pausen hinter sich zu haben. Das große Aber: Völlig verlassen hat das Netzwerk noch kaum jemand der Befragten.

Was macht die Anziehungskraft aus?

Erst vor ein paar Tagen legte Facebook aktuelle Unternehmenszahlen vor, die wieder einmal Rekordzahlen waren. In nur drei Monaten bis Dezember setzte der Konzern 16,9 Milliarden US-Dollar um – um 30 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Neben 6,9 Milliarden Dollar Gewinn stieg auch die Zahl der Nutzer. 2,3 Milliarden Menschen greifen monatlich auf den kalifornischen Dienst zurück. Die Fragen, die sich aufdrängen: Was macht diese unbändige Anziehungskraft von Facebook auch 15 Jahre nach der Gründung aus? Warum wird der Magnetismus des Giganten selbst durch Datenschutzskandale und nachgewiesene politische Manipulationen nicht schwächer? Und wie hat Facebook durch diese Abhängigkeit unsere Art zu leben in 15 Jahren verändert?Entstanden als geschlossene Plattform für US-Studierende, wurde Facebook als Netzwerk internationaler Bekanntschaften erwachsen, bevor es länderspezifische Erstlingswerke wie StudiVZ brachial aus dem Weg räumte und zum globalen Defacto-Monopolisten aufstieg. Heute ist Facebooks Größe gleichzeitig eine der größten Stärken.

Die ständige Suche nach Anerkennung

„Der Grund, warum die Menschen noch immer auf Facebook sind, nennt sich Netzwerkeffekt. Ein Riese wirkt anziehender als ein Zwerg“, antwortet die Autorin und intime Facebook-Kennerin Ingrid Brodnig blitzschnell. Die Angst vor Ausgrenzung kombinieren Nutzer mit der beständigen Suche nach Lob und Anerkennung. Tatsächlich zeigen zahlreiche neurowissenschaftliche Untersuchungen, dass persönlicher Zuspruch im Alltag ähnliche Hirnregionen aktiviert wie ein „Like“ auf Facebook. Bedenkt man, dass die Feedback-Taktung heute nirgendwo so unmittelbar und vielfältig wie bei Netzwerken a la Facebook ist, versteht man deren Attraktivität.

Gleichzeitig mehren sich ob der außergewöhnlich intensiven Rückkoppelung warnende Stimmen. Die „hochfrequenten, von Dopamin angetriebenen, Feedback-Schleifen, die wir geschaffen haben, zerstören das gesellschaftliche Leben“, mahnt etwa der einstige Facebook-Manager Chamath Palihapitiya. „Die zentralen Merkmale der Facebook-Gesellschaft sind das Verschwinden der Gegenwart und der Verlust reflexiver Selbst- und Fremdwahrnehmung“, schreibt wiederum Roberto Simanowski. Die Welt, so der Befund des renommierten Geisteswissenschafters, werde nur noch auf ihre Verwertbarkeit im sozialen Netz wahrgenommen, die Fähigkeit zur Reflexion verschwinde.

Nicht ganz so fatalistisch fällt das Urteil von Medienwissenschafter Matthias Karmasin aus. Facebook habe „viel ändert. Im Schlechten wie im Guten.“ So sei es heute etwa viel einfacher, Teil einer Gemeinschaft zu werden. Früher wäre es „in dem Seitental sehr schwer gewesen, als Gothic sozial akzeptiert zu sein“, erzählt Karmasin. Die „translokale Vergemeinschaftung“ mache es möglich.

Großen und besonders bedeutsamen Einfluss, vom Tal bis in die Hauptstadt, nahm die Verfacebookung der Gesellschaft auf die politische Kommunikation. Ingrid Brodnig: „Facebook erleichtert es Parteien, direkt mit dem Bürger in Kontakt zu treten. Einerseits ist das positiv, andererseits unbehaglich, weil es keinen journalistischen Filter mehr gibt.“ Die Gefahr, „dass Informationen nicht in der gesamten Breite gebracht werden“, sieht auch Matthias Karmasin. Nur mehr Informationen, die meiner Auswahl und meinem Informationsverhalten entsprechen, erreichen mich. Mit anderen, gar gegensätzlichen Sichtweisen werde man „selten konfrontiert“. Gemeinsam mit der technischen Manipulationsanfälligkeit von Facebook durch automatisierte Software scheint das ein zunehmend toxisches Gemisch.

Wie diesem künftig begegnet wird? Je größer das US-Unternehmen, zu dem längst auch weitere viel verwendete Online-Dienste wie Instagram oder WhatsApp zählen, wird, desto lauter hörbar sind die Rufe nach regulierenden Maßnahmen. „Ich glaub, dass in den nächsten fünf Jahren Regulierung folgt und Europa vorpreschen wird“, sagt auch Ingrid Brodnig. An einen Massenexodus der Nutzer glaubt sie nicht mehr. Die Prognose, wonach Facebook durch die jüngeren Datenskandale bei seinen Nutzern breitflächige Gegenreaktionen in Form einer Abwanderung auslösen könnte, hätte sich ja auch nicht erfüllt.

Nützlichkeit, Abhängigkeit und Misstrauen

Der Technologieforscher Andreas Reiter (ZTB) hatte das bereits im Vorjahr für unwahrscheinlich gehalten. Tempo und Intensität der Weiterentwicklungen, verstärkt durch digitale Echokammern, würden zwar bisweilen für Ohnmachtsgefühle sorgen, sowohl bei Konsumenten als auch bei Unternehmen und Staaten, die an vernünftigen Regulierungen scheitern. Bei jüngeren Menschen, die in der digitalen Welt aufwachsen, würden Themen wie Datenschutz „häufig einen erschreckend geringen Stellenwert einnehmen“, sagte Reiter, der von einem Spannungsfeld zwischen Nützlichkeit, Abhängigkeit und Misstrauen sprach.

Übrigens: Forscher der Universitäten in Stanford University und New York haben kürzlich untersucht, was mit Menschen passiert, die Facebook dann doch nicht mehr nutzen. Die Ergebnisse: Sie verbringen mehr Zeit mit Freunden und Familie, sind eine Spur glücklicher und zufriedener und gleichzeitig etwas weniger über politische Neuigkeiten informiert. Die Entscheidung liegt in Ihren Händen.