Im Kampf gegen die nach wie vor hohe Inflation im Euroraum hat die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen zum neunten Mal in Folge erhöht. Der EZB-Rat beschloss am Donnerstag eine Anhebung um weitere 0,25 Prozentpunkte. Der Leitzins, zu dem sich Geschäftsbanken frisches Geld bei der EZB besorgen können, steigt damit auf 4,25 Prozent. So hoch war der Leitzins zuletzt zu Beginn der weltweiten Finanzkrise Anfang Oktober 2008.

Parken Banken Geld bei der EZB, erhalten sie dafür künftig 3,75 Prozent Zinsen, wie die Notenbank in Frankfurt mitteilte. Nach Jahren mit Null- und Negativzinsen haben die Währungshüter angesichts der hohen Teuerung die Zinsen seit Juli 2022 in einer beispiellosen Serie angehoben. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte die neunte Erhöhung bereits in Aussicht gestellt.

Auch die US-Notenbank Federal Reserve legte im Kampf gegen die Inflation nach und hob am Mittwoch den Leitzins auf den höchsten Stand seit 22 Jahren an. Der Leitzins liegt nun in der Spanne von 5,25 bis 5,5 Prozent.

Inflation fällt auf 5,5 Prozent

Höhere Zinsen verteuern Kredite. Das kann die Nachfrage bremsen und hohen Teuerungsraten entgegenwirken. Zwar schwächte sich die Inflation im Juni ab. Im Währungsraum der 20 Staaten lagen die Verbraucherpreise nach Angaben des Statistikamtes Eurostat um 5,5 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Im Mai war noch eine jährliche Teuerungsrate von 6,1 Prozent verzeichnet worden. Die Rate liegt aber weiterhin deutlich über dem mittelfristigen Inflationsziel der EZB von zwei Prozent, bei dem die Notenbank Preisstabilität gewahrt sieht.

Folgen teurer Zinsen

Höhere Teuerungsraten lassen die Kaufkraft der Menschen schwinden: Verbraucherinnen und Verbraucher können sich für ihr Geld weniger leisten. Sie treten beim Konsum auf die Bremse. Das belastet das Wirtschaftswachstum, für das der private Konsum eine wichtige Stütze ist. Auf der anderen Seite verteuern steigende Zinsen Kredite für Unternehmen, weshalb die eine oder andere Investition ausfallen könnte. Auch das bremst die Konjunktur.

Für Bauherren wurde es teurer

Sparer profitieren nach jahrelanger Flaute von steigenden Zinsen für Tagesgeld und Konsorten. Für Kreditnehmer wird es durch steigende Zinsen teurer, vor allem Bauherren bekommen das deutlich zu spüren.

In der Erläuterung der geldpolitischen Beschlüsse heißt es, dass die EZB nach wie vor erwartet, dass die Inflation hoch bleibt. "Der EZB-Rat ist entschlossen, für eine zeitnahe Rückkehr der Inflation zum mittelfristigen Ziel von 2 Prozent zu sorgen." Die bisherigen Zinserhöhungen würden weiterhin eine starke Wirkung zeigen: "Die Finanzierungsbedingungen haben sich erneut verschärft und dämpfen zunehmend die Nachfrage. Dies ist ein wichtiger Faktor bei der Rückführung der Inflation zum Zielwert."

Wie geht es nach der Sommerpause weiter?

Wie man im September entscheiden werde, sei offen, erklärte Lagarde in der Pressekonferenz nach der Zinsentscheidung. Man entscheide auf Datenbasis: "Wir werden die Daten analysieren und dann eine  Entscheidung treffen", erklärte Lagarde. Sicher sei nur, dass man die Zinsen im September nicht kürzen werde.

Damit ist ungewiss, wie es in der Euro-Geldpolitik nach der Sommerpause weitergeht – ob also die EZB ihren Inflationskampf mit weiteren Zinsstraffungen fortsetzt oder nicht. Das bedeutet, dass die EZB vor ihrer vorerst letzten Zinsanhebung stehen könnte. "Über die Juli-Sitzung hinaus werden Anzeichen einer sich abkühlenden Wirtschaft und nachlassender Inflationsdruck die Diskussion bei der EZB darüber, wie weit man gehen soll, kontroverser machen", meint daher ING-Deutschland-Chefvolkswirt Carsten Brzeski.

In der Erklärung ihrer geldpolitischen Beschlüsse hießt es, die zukünftigen Beschlüsse des EZB-Rats würden dafür sorgen, dass die EZB-Leitzinsen "so lange wie erforderlich auf ein ausreichend restriktives Niveau festgelegt werden", um eine zeitnahe Rückkehr der Inflation zum mittelfristigen 2 Prozent-Ziel zu erreichen. Die Zinsbeschlüsse würden weiterhin vor allem auf der Einschätzung der Inflationsaussichten vor dem Hintergrund aktueller Wirtschafts- und Finanzdaten, der Entwicklung der zugrunde liegenden Inflation sowie der Stärke der geldpolitischen Transmission basieren.

Ist der "Zinsgipfel" erreicht?

An den Finanzmärkten und unter Bankvolkswirten ist man sich in der Frage allerdings nicht sicher, ob damit der "Zinsgipfel" erreicht ist. Ziemlich sicher ist man sich allerdings, dass der Zinsgipfel im Euroraum bald erreicht sein dürfte. Seit Sommer 2022 hat die EZB ihre Leitzinsen um insgesamt vier Prozentpunkte angehoben – so rasch und deutlich wie nie zuvor in ihrer noch jungen Geschichte.

Zwischen Notwendigkeit und Möglichkeit

Aus der Notenbank selbst kamen bis zuletzt unterschiedliche Signale, was die künftige Geldpolitik angeht. Von den vielen Bemerkungen riefen die Äußerungen des niederländischen Zentralbankchefs Klaas Knot besonderes Interesse hervor. Der für seine straffe Linie bekannte Knot sagte, eine Zinserhöhung im Juli sei eine Notwendigkeit, eine weitere Anhebung auf der darauffolgenden Sitzung im September aber nur eine Möglichkeit. Für Knots Verhältnisse ist das eine geldpolitisch sehr vorsichtige Aussage.

Der ungewisse geldpolitische Ausblick ist vor allem eine Folge der fragilen Konjunktur: Die Inflation ist in den vergangenen Monaten zwar deutlich gesunken. Allerdings hat sich an dem grundlegenden Preistrend so viel nicht verändert, wie die immer noch hohe Kerninflation zeigt. Auf der anderen Seite beginnt sich die wirtschaftliche Dynamik spürbar abzuschwächen. Dafür sprechen die zunehmend trüberen Einkaufsmanagerindizes von S&P Global. Die deutsche Wirtschaft sticht dabei negativ heraus, weil sie sich wesentlich schwächer als andere große Euro-Volkswirtschaften entwickelt.

Konjunkturelle Entwicklung stärker im Fokus

Ob die EZB ihre Zinsen nach dem Sommer weiter anhebt, ist unter Volkswirten entsprechend ungewiss. ING-Chefökonom Carsten Brzeski ist sich zumindest sicher, dass die EZB am Donnerstag keine weitere Zinsanhebung konkret in Aussicht stellt – so wie es Präsidentin Christine Lagarde auf den beiden vorherigen Sitzungen getan hat. Brzeski erwartet vielmehr, dass die Notenbank ihre Geldpolitik noch stärker von der konjunkturellen Entwicklung abhängig macht.

Die Volkswirte von der Deutschen Bank halten eine weitere Zinsanhebung im September zwar für möglich, allerdings nicht für ausgemacht. Für sie ist sogar der Zinskurs nach September nicht in Stein gemeißelt. Die Analysten meinen: Unabhängig davon, ob der Leitzins nach dem Sommer nochmals angehoben wird oder nicht, könnten die Leitzinsen auch nach September weiter steigen.