Die Inflation ist mit derzeit acht Prozent so hoch wie seit 40 Jahren nicht mehr. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer trifft das unmittelbar. Wie schlimm ist es?
JOSEF PESSERL: Unsere Experten und Expertinnen werden von den Betroffenen gestürmt. Die sind verzweifelt, manche weinen ins Telefon, weil sie nicht mehr wissen, wie sie ihr tägliches Leben finanzieren sollen, wie sie den Strom, die Heizung, den Sprit und den nächsten Einkauf bezahlen sollen. Wir reden nicht nur über Leute, die Mindestsicherung beziehen oder arbeitslos sind, wir reden über Menschen in Vollzeitbeschäftigung. Das ist dramatisch. Ich verstehe nicht, warum man auf politischer Ebene den Leuten nicht schon längst unter die Arme gegriffen hat. Im übrigen auch den Unternehmen. Wir sehen gerade einen unglaublichen Verlust der Massenkaufkraft.

Wo schlägt die Teuerung besonders durch?
Bei den Wohnkosten, dazu zählen die Kosten für Heizung und Strom. Wenn ein voller Heizöltank bisher 2000 Euro kostete, so sind es nun 4000 Euro. Ein weiteres Beispiel: Kann jemand seine 30 Prozent höhere Stromrechnung nicht mehr bezahlen, wird ihm der Stromvertrag gekündigt. Er muss einen neuen Vertrag bei einem anderen Anbieter abschließen, der verlangt aber nicht 30 Prozent, sondern 300 Prozent mehr. Man kann sich vorstellen, was das mit den Menschen macht. Es geht so weit, dass die Leute sagen, sie wissen nicht mehr, wie sie den Kindern was zum Essen kaufen sollen.

Wird das Anti-Teuerungspaket der Regierung dem gerecht?
Es ist nicht seriös, wenn man Dinge doppelt und dreifach verkaufen will – als angebliche Linderung der Belastung für die Bevölkerung. Ein typisches Beispiel ist die Beseitigung der kalten Progression. Denn die hat mit der exorbitanten Teuerung nichts zu tun. Die kalte Progression reduziert Kaufkraft, indem Einkommen in eine höhere Steuerklasse kommen, obwohl Preissteigerungen nicht berücksichtigt werden. Wir verlangen schon seit Jahren, dass das beseitigt wird. Es ist nicht fair, das jetzt als Linderung der Inflation hinzustellen. Auch wenn die Maßnahme als solche sehr positiv ist.

Die Regierung will sechs Milliarden Euro verteilen, um die Inflation abzufedern. Wird das ausreichen?
Da ein Bonus, dort ein Bonus, das ist ja positiv, aber es löst die Probleme nicht. Das ist wie eine Schmerztablette, lässt die Wirkung nach, sind die Schmerzen wieder da. Sechs Milliarden Euro klingt nach viel, aber wie viel für die einzelnen Haushalte bleibt, ist für mich derzeit nicht nachvollziehbar. Wirken soll es ab Herbst, die Preissteigerungen gibt es aber schon seit Februar.

Aber ist die Anpassung der Sozialleistungen nicht eine nachhaltige Maßnahme?
Auch das ist sehr positiv, hat mit der Preisexplosion aber ebenso wenig zu tun wie die kalte Progression. Das hilft den Leuten nicht aus der Patsche.

Soll die Regierung temporär die Steuern senken?
Das wäre ein Ansatz, aber es würde zu kurz greifen. Es ändert nichts daran, dass Unternehmen aufgrund dieser Preisexplosion satte Gewinne machen, obwohl kein zusätzlicher Aufwand dahintersteht, sondern Spekulation, Verunsicherung, angeblich der Markt. Was immer die Ursache ist, die, die hohe Gewinne kassieren, sitzen erste Reihe fußfrei. Die Preise bleiben trotz Steuererleichterung hoch. Es läge in der Verantwortung der Politik, Zusatzgewinne durch eine Sondersteuer mit ins Boot zu nehmen. Die Politik hat großen Spielraum, Vermögende mehr an der Finanzierung des Gemeinwohls beitragen zu lassen – ohne gegen Vermögende vorzugehen.

Welche in die Zukunft gerichteten Maßnahmen könnten die Inflation einfangen?
Die eine Maßnahme gibt es nicht. Dort, wo es um die Existenz der Menschen geht, um die Grundversorgung, soll die Politik eingreifen, wenn der Markt es nicht tut. Zum Beispiel bei der Preisfindung beim Strom. Viele Kraftwerke bieten Strom an – doch alle Endkunden zahlen den Preis des teuersten Erzeugers, in dem Fall des Gaskraftwerkes. Das ist krank. Das ist so, wie wenn ich in einer Branche den best bezahlten Arbeitnehmer als Referenz nehme und alle anderen Arbeitnehmer gleich hoch entlohnen müsste. Ich verstehe, dass man Investitionen in erneuerbare Energien fördern möchte, aber das kann man doch nicht über den Preis für Endkunden machen.

Als Basis für Lohnverhandlungen gilt die Jahresinflation. Ab Herbst kommen hohe Lohnforderungen auf die Unternehmen zu. Oder soll die Arbeitnehmerseite einlenken und das Anti-Teuerungspaket einpreisen?
Lohnforderungen folgen immer den Preissteigerungen der letzten zwölf Monate. Es geht darum, die Kaufkraft der Konsumenten zu erhalten, auch im Interesse der Unternehmen. Das ist ein gut eingespielter Prozess. Mit diesem Paket ist gar nichts geschehen, es ist noch kein Geld geflossen. Die kalte Progression soll erst 2023 beseitigt werden, in den kommenden Lohnverhandlungen geht es aber um den Zeitraum Herbst 2021 bis Herbst 2022.