Angela Merkel ist weg, die Ampel da. Was darf sich Österreichs Wirtschaft von der neuen deutschen Regierung aus SPD, FDP und Grünen erwarten?

„Ich lese das Ampel-Regierungsprogramm als umfangreichen Klimaschutzvertrag“, fasst Wifo-Chef Gabriel Felbermayr zusammen, was die Agenda in Berlin bestimmen wird. „Diese Top-Priorität erzeugt enormen Investitionsbedarf“, sagt der Ökonom, der erst vor Kurzem nach Österreich zurückgekehrt ist und der zuvor als Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft auch die Regierung Merkel in manchen Fragen beraten hat. „Zu den Sektoren, die davon sicher profitieren werden, gehören der Maschinen- und Anlagenbau. Gerade in der Umwelttechnologie ist Österreich ja gut aufgestellt. Das gilt auch für viele andere Bereiche wie Consulting oder Ingenieurdienstleistungen“, so Felbermayr.

Wie extrem eng die Verflechtungen sind, zeigen allein diese Zahlen: 35 Prozent aller Importe Österreichs kommen aus Deutschland (Volumen 2020: 50,51 Milliarden Euro) und 30,5 Prozent aller österreichischen Exporte gehen nach Deutschland (43,33 Milliarden Euro 2020). Brummt Deutschlands Konjunktur, hat das international Antriebskraft. Der finanzielle Anschub für die geplante Transformation der Wirtschaft soll von der Bank für Wiederaufbau, dem Milliarden schweren Transformationsfonds sowie aus der Aktivierung der enormen Privatvermögen der Deutschen kommen.

„Deutschland bleibt ein Hochsteuerland“

Letzteres hat sich vor allem die FDP als kleinster Partner der Dreier-Koalition auf die Fahnen geheftet. „Allerdings ist das noch etwas auf das Prinzip Hoffnung gegründet“, so Felbermayr. „Dass man die Steuern für Unternehmen unverändert gelassen hat, ist eher ein Problem. Damit bleibt Deutschland ein Hochsteuerland, was für das Aktivieren privaten Kapitals eher hinderlich ist“, sagt er. Auch Turbosofortabschreibungen bedeuteten nur eine zeitliche Verschiebung der Last.

Zwei ganz andere Effekte könnten für Österreichs Wirtschaft mehr Bedeutung bekommen. Eine verstärkte deutsche Binnennachfrage dürfte Produkte teurer machen. Und die geplante Einführung eines Mindestlohns von zwölf Euro, mit der der neue Kanzler Olaf Scholz ein Wahlversprechen einlöst, dürfte auch eine gewisse Wirkung jenseits der Grenzen zeigen. Etwa im Tourismus, der enorm unter Ertragsdruck steht und gleichzeitig stark von einem Arbeitskräftemangel betroffen ist.

Klaus Weyerstraß vom Institut für Höhere Studien IHS rechnet nicht mit einer Art Schub für Österreichs Wirtschaft, aber sehr wohl für Impulse in einzelnen Branchen. Konkret nennt er als Beispiel den Baukonzern Strabag. Dessen Auftragsbücher sind in Deutschland tatsächlich mit 8,2 Milliarden Euro prallvoll. Denn der Abbau des Investitionsstaus bei der Infrastruktur läuft schon seit 2016. Im Strabag-Auftragsstand zeigt sich das: Er ist heute um 1,7 Milliarden Euro höher. „Der Bundesverkehrswegeplan gilt bis 2030“, so Strabag-Chef Thomas Birtel. „Er sieht neben dem Ausbau von Autobahnen vor allem die Sanierung des vernachlässigten Straßennetzes sowie von Brücken in Westdeutschland vor. Wir erwarten keine Abkehr von diesen notwendigen Maßnahmen.“

Christian Helmenstein, Chef des Economica Instituts, fokussiert auf einen ganz anderen Aspekt: „Deutschlands Erfolg beruht auf einer starken Technologieorientierung in der Industrie und ihre Exportfähigkeit. Wenn es gelingt, das wieder im Mindset der Gesellschaft zu verankern und das vor allem wieder in die Schulen hineinzutragen, dann kann das eine Fortsetzung des deutschen Exporterfolges werden.“ Der Ökonom, übrigens gebürtiger Deutscher, attestiert seinem Heimatland einen Innovationsrückstand. Um den zu beheben, müsste ähnlich viel passieren wie seinerzeit bei den Arbeitsmarktreformen Gerhard Schröders.