Herr Vybiral, der Kreditschutzverband befragt sehr viele Unternehmen regelmäßig, wie es ihnen geht. Ist die Stimmung so gut wie bei den Wirtschaftsforschern?
RICARDO VYBIRAL: Wir haben kürzlich die Ratings analysiert, grosso modo haben neun von zehn Unternehmen ein unterdurchschnittliches Ausfallrisiko für ihre Lieferanten oder Kunden, nur jedes zehnte Unternehmen ist unter Druck.

Ist das angesichts der Krise nicht überraschend gut?
Was uns definitiv überrascht hat, dass die Veränderung von Vor-Corona zu jetzt gar nicht stark war. Bis dato wirkt sich Corona in den Ratings kaum aus. Und wir haben immerhin mehr als 200.000 Unternehmen im permanenten Monitoring. Die Veränderung beträgt nur einen Prozentpunkt. Der Anteil der Unternehmen mit überdurchschnittlichem Ausfallrisiko ist von zwölf auf 13 Prozent gestiegen. Das ist de facto gar nichts. Die Staatshilfe hat hier gewirkt, wenngleich diese temporäre Versorgung mit Liquidität natürlich eine artifizielle Situation geschaffen hat.

Geht es den jungen Unternehmen schlechter als den finanziell besser etablierten, alten?
Bei den Ratings sind die schon eher in den höheren Klassen, zwei von zehn Firmen haben eine angespannte Lage. Die Jungen sind schon stärker in die Mangel genommen worden. Wenn insgesamt 73 Prozent der Unternehmen die Geschäftslage positiv beurteilen, mit sehr gut bis befriedigend, dann sind das bei den Jungen nur 66 Prozent. Die haben einfach geringere Eigenkapitalquoten, sind finanztechnisch nicht so gut ausgestattet. Dafür haben sie aber die größere Zuversicht. 84 Prozent sind für die nächsten drei Jahre sehr positiv eingestellt, gesamt sind es 76 Prozent.

Wer durch die Stadt geht, bekommt in manchen Gegenden den Eindruck, viele Geschäfte, Cafés sind dicht. Gibt es viele Unternehmensschließungen?
Wir sehen sogar mehr Gründungen. 2020 hatten wir 60.905, plus acht Prozent. Dabei gibt es einen interessanten Zusatzeffekt, nämlich weniger Schließungen. Es gibt mehr Unternehmen am Markt. Viele schließen im Moment nicht, weil sie die Übergabe nicht in der Krise machen wollen. Bei freiwilligen Schließungen gibt es ein minus von 16 Prozent. Wahrscheinlich sind Mitnahmeeffekte dabei.

Der KSV hat die breitflächigen Unterstützungen durch den Staat oft und heftig kritisiert. Was bleibt jetzt davon übrig?
Wir haben immer gesagt, Unterstützung ist notwendig, um die Wirtschaft nicht gegen die Wand zu fahren. Wo wir unsere Fragezeichen, noch immer unsere Bedenken haben, ist die Frage, wie lange wir noch versuchen, die Wirtschaft am Notstromaggregat zu halten.

Das Wort Zombieunternehmen nehmen Sie nicht in den Mund.
Eher nicht. Aber wir treiben schon eine Schar von Unternehmen in eine ungute Lage, die besser jetzt in eine Sanierung gingen. Das passiert leider zu wenig wegen der Punzierung Insolvenz. Wir ziehen wie Wanderprediger durchs Land. Besser jetzt Firmen, die in Schieflage sind, retten, was in einem halben oder dreiviertel Jahr nicht mehr geht, weil keine Substanz mehr da ist. Die haben dann meistens nicht einmal die 5000 Euro für ein Verfahren. Jetzt ist zudem noch alles schuldner-freundlich.

Wann rechnen Sie mit dem Anwachsen der Insolvenzwelle?
Nicht so schnell. Jetzt haben wir die sogenannte Safety-Car-Phase, was nichts anders als eine weitere Stundung ist. Ohne die hätte es sicher noch einen großen Aufschrei gegeben. Man wartet drei Monate zu, stellt alles noch nicht auf scharf. Finanzamt und die Österreichische Gesundheitskasse, die die mit Abstand größten Insolvenzantragsteller sind, wurden noch einmal abgebremst.

Erwarten Sie, dass das noch einmal verlängert wird?
Vor einem Monat hätte ich klar Nein gesagt. Mit „Delta“ kommt vielleicht für einige Branchen eine Verlängerung. Wir befinden uns jedenfalls noch nicht in einem normalen marktwirtschaftlichen System. Ohne eine mögliche Verlängerung der Stundungen oder weitere Hilfen werden die Insolvenzen gegen Ende des Jahres wieder langsam wieder in Richtung des Niveaus von 2019 steigen, das war das letzte Normaljahr. Dann sind etwa 100 Insolvenzen pro Woche zu erwarten. Vorletzte Woche hatten wir minus 70 Prozent Insolvenzen im Vergleich zum Vorjahr, das ist alles andere als normal.

Welches Zeugnis würden Sie der Regierung ausstellen?
Ein grundsätzlich positives.

Die Stadthotellerie ist extrem von der Krise betroffen, trifft auf die Ihre Befürchtung von den verschleppten Sanierungen zu?
Dadurch, dass extrem viel Kapital im Markt ist, sind längst überall Investoren als Perlentaucher unterwegs. In der Hotellerie, bei Immobilienprojekten genauso, und es werden mehr Investoren in Unternehmen einsteigen.

Wie ist das Zahlungsverhalten?
Es ist sehr gut, Ausnahme ist die öffentliche Hand. Da gibt es massiven Verbesserungsbedarf.

Der Handelsverband sagt, 5000 Geschäfte gäben bald auf.
Die Zahl kenne ich nicht. Aber der Handel ist sicher unter Druck. Die müssen ihre Modelle überdenken. Akzeptieren wir endlich einmal, dass sich Konsumenten verändern.

Kann man sagen, dass die Stärke des Finanzsektors in dieser Krise Schlimmeres verhindert hat?
Die Banken sind im Moment stark und eine enorme Stütze für die Wirtschaft. Die sind sehr positiv gestimmt – und immerhin sehen die die Zahlungsein- und Ausgänge täglich.

Warum sind Sie so gegen die neue Insolvenzverordnung?
Bei den Privatinsolvenzen die Rückzahlungsdauer von fünf auf drei Jahre zu verkürzen, ist Wahnsinn. Wir bringen Menschen Verantwortungslosigkeit bei, als sei Schulden machen nichts Schlimmes. Das ist nur der grünen Seite der Regierung geschuldet gewesen.