Ein Jahr Corona – Sie haben im Frühjahr 2020 einmal gesagt, ‘Ich ertrage das Ganze mit Humor und Gelassenheit, man muss auch in dieser Situation lachen können’ – konnten Sie das beibehalten oder ist Ihnen zwischenzeitlich das Lachen nicht doch auch einmal vergangen?
GÜNTHER APFALTER: Das habe ich mir beibehalten. Wir haben es hier mit einem hundertjährigen Ereignis zu tun – und auch das wird vorüber gehen. Diejenigen, die derzeit die Entscheidungen treffen müssen, die beneide ich nicht, denn egal was und wie sie entscheiden, es wird im Nachhinein als falsch erachtet.

Was erachten Sie als falsch?
Ich würde mir ganz einfach wünschen, dass man die Kollateralschäden und -auswirkungen, also politischer, sozialer und wirtschaftlicher Natur, aber auch die Folgen für den Bildungsbereich mehr gewichtet. Das findet derzeit nicht statt, sie werden nicht genügend bedacht.

Was hat Corona aus Magna gemacht, wie ist der Konzern in Ihrem Verantwortungsbereich – Europa und China – bisher durch die Pandemie gekommen?
Im ersten Lockdown 2020 sind die Werke in China und Europa zwischenzeitlich stillgestanden, doch seit Ende April produzieren wir ganz normal. 85 Prozent unserer Wertschöpfung erfolgt aber in den Fabriken, ein Auto, eine Komponente, ein Fahrzeugteil kann nicht im Homeoffice gefertigt werden.

Die Krise hat die Autoindustrie, die mitten in der Transformation steckt, schwer getroffen. Große Zulieferfirmen fuhren tief in die roten Zahlen. Beginnt es da in manchem Gebälk zu knirschen?
Bei Magna jedenfalls nicht, wir haben in normalen Jahren immer rund um 40 Milliarden Dollar Umsatz gemacht und ein entsprechendes Ergebnis, im Vorjahr waren es aufgrund der weltweiten temporären Schließungen nur 32 Milliarden Dollar, aber nach wie vor ein klar positives Ergebnis. Konsolidierungen in der Zulieferlandschaft und auch bei den Herstellern hat es schon immer gegeben und wird es auch weiterhin geben.

Die Autoabsatzmärkte sind in den letzten Monaten markant eingebrochen – mit Ausnahme von China. Wie wird es da weitergehen?
Die großen Hersteller, etwa in Deutschland ob nun Daimler, BMW oder die VW-Gruppe, kommunizieren, dass sie eine entsprechend gute Erholung im zweiten Halbjahr 2021 sehen. Eine Auswirkung der Pandemie ist die Individualität und damit auch der Individualverkehr, das Auto, das eigene Fahrzeug als intime Zone innerhalb der Familie hat sicher wieder an Bedeutung gewonnen.

Fast im Wochentakt verkünden Hersteller vollmundig ihre Abkehr vom Verbrennungsmotor, die Auto-Giganten mutieren zu Softwareriesen, zugleich betreten Technologie- und Internetkonzerne die Bühne. Wer macht das Rennen, wer wird es nicht schaffen?
Es wird um eine Balance zwischen den Antriebstypen gehen, zwischen Verbrennern, den verschiedenen Hybrid-Varianten und reinen Elektroantrieben. Man muss die Energiekette immer ganzheitlich betrachten, da wird bei vielen Themen, die derzeit diskutiert werden, nur das emissionsfreie Fahren gesehen, aber nicht, wo die Batterie oder von wo der Strom herkommt sowie welcher Infrastrukturaufwand notwendig ist, um die entsprechenden Ladestellen aufzubauen. Nicht zuletzt muss auch das Thema Recycling in den Vordergrund rücken, was bei einem Kühlschrank funktioniert, muss in Zukunft auch bei Batterien funktionieren.

Die Zukunftsthemen heißen Digitalisierung, E-Mobilität, Wasserstoff. Vor allem um das Elektroauto hat sich ein regelrechter Hype aufgebaut. Zurecht?
Derzeit wird überhaupt zu viel gehypt, vor der Pandemie haben wir immer gehört, wir brauchen kein eigenes Auto mehr, Shared Mobility war in aller Munde –das hat sich wieder etwas eingepegelt. Ich glaube auch, dass sich das Thema Elektromobilität wieder etwas einpegelt. Bei uns im Werk produzieren wir alle drei Antriebssysteme am selben Montageband, also Verbrennungs-, Hybrid- und reine Elektrofahrzeuge. Wir beschäftigen uns auch mit dem Thema Wasserstoff. Das Elektrofahrzeug hat seine Berechtigung, vor allem im urbanen Bereich, auf Langstrecken wird es aber mit Sicherheit etwas schwieriger werden.

Magna muss also auf allen Bühnen dabei sein?
Absolut. Wenn wir das nicht machen würden, dann würden wir nicht überleben.

Wann wird bei Magna in Graz das letzte Auto mit Verbrennungsmotor gebaut?
Ich glaube, das wird nie der Fall sein.

Wirklich?
Wie soll das bei großen Reichweiten jenseits von 500 Kilometern flächendeckend nur mit Elektromobilität funktionieren? Die Batterien werden sich zwar weiterentwickeln, aber jedes Verkehrsmittel braucht auch Energie. Ich warne davor, alles zu hypen.

Ihre Hauptkunden in der Fertigung sind traditionelle Autobauer: Mercedes, BMW, Jaguar, Toyota. Wie sieht es mit Folgeaufträgen aus? Ist etwas in der Pipeline?
Es ist immer was in der Pipeline.

Mit dem kalifornischen Elektro-Start-up Fisker hat Magna erstmals einen ganz neuen Anbieter an Land gezogen.
Wir reden auch mit unseren derzeitigen Kunden. Den Fisker-Auftrag haben wir gebucht, der soll auch hier produziert werden. Wir sind aber auch mit anderen in Kontakt, sowohl traditionellen Kunden als auch mit den sogenannten „new entrants“, aber hier nur mit jenen ernsthafter, wo wir glauben, dass deren Geschäftsmodell Erfolg hat.

Würden Sie mit Magna gerne das Apple-Auto bauen?
Da schreiben die Medien schon genug, das kann ich nicht kommentieren.

Magna baut im Joint-Venture das Elektroauto Arc Fox in China, wäre das auch in Europa markttauglich?
Ja. Einige Fahrzeuge waren auch schon in Europa, wurden von OEMs getestet und für gut befunden.

Werden sie auch einmal in Europa gefertigt werden?
Das wird die Nachfrage bestimmen. Sicherlich ist es vorstellbar.

Im Werk von Magna Steyr in Marburg?
Auch das ist vorstellbar, aber es gibt aktuell keine konkreten Planungen.

Wann könnte da eine Entscheidung fallen?
In den nächsten zwei Jahren, realistisch gesehen.

2020 wurden knapp 110.000 Fahrzeuge in Graz gefertigt, wie viele sollen es 2021 werden?
Heuer wird es etwas mehr sein. Wir werden da im Vergleich zum Vorjahr in allen Kundenbereichen zulegen.

Wie sieht es mit der Mitarbeiterentwicklung aus?
Wir gehen von einer konstanten Entwicklung aus. Am Standort hier in Graz sind derzeit rund 9300 Mitarbeiter beschäftigt.

Wo steht der Wirtschafts- und Automobilstandort Österreich?
Österreich soll international als automotiv-freundliches Land wahrgenommen werden. Alle Aufträge, die dieser Wirtschaftszweig hat, kommen von internationalen Herstellern. Darum muss man auch seitens der Regierung sehr darauf achtgeben, dass man das Spielfeld zu diesem Thema nicht nur einem Koalitionspartner überlässt, sondern hier mit Augenmaß vorgeht und auch entsprechend kommuniziert. Das bereitet uns Sorgen. Man muss auf die Balance achten und als ausgewogener Gesprächspartner bei Kunden wahrgenommen werden, um Arbeitsplätze im Land zu halten und auch neue schaffen zu können. Wir fordern eine Technologieoffenheit und die Betrachtung einer Gesamtenergiebilanz eines Fahrzeugs und der Fortbewegungsart von A nach B.

Europa hat sehr schnell und bis heute immer wieder mit Grenzschließungen innerhalb der EU reagiert. Für Sie nachvollziehbar?
Wenn ich den letzten Jahren über den Walserberg gefahren bin, wo man auch diese Ruine des früheren Zollhauses sieht, hab‘ ich mich immer wieder gefragt, wird das Bestand haben oder werden die diese Häuser wieder einmal aufbauen? Jetzt stehen plötzlich wieder Container dort. In Bezug auf Reisefreiheit hat die EU nicht funktioniert. Wer westlich oder östlich der EU sitzt und das Gesamtgebilde betrachtet und sieht, wie die EU reagiert, wenn die Dinge etwas enger werden, muss zum Schluss kommen, dass da keine Einheit besteht. Für mich ist das echt schockierend.

Haben Sie in dieser Zeit für sich selbst gemerkt, dass Sie früher zu viel geflogen sind?
Ich habe gelernt, dass man nicht alles mit Videokonferenzen lösen kann, wenn man zehn davon am Tag hat, dann kann das anstrengender als ein Nachtflug sein. Es gibt Themen, die muss man von Angesicht zu Angesicht besprechen, das wird auch in Zukunft so sein. Persönlich kann ich aber auch sagen, dass du dir 20 bis 30 Prozent der Reisen sparen kannst, man kann vor allem die Teilnehmerzahl bei vielen Reisen reduzieren. Das kann man auch davon lernen. Das wird auch ein nachhaltiger Effekt sein.