Sie haben Ihr Amt in einer Krise übernommen, und Sie gehen mit den Anzeichen einer Krise am Horizont. Sind Sie froh, aufhören zu können?
EWALD NOWOTNY: Dafür gibt es keine einfache Antwort. Von der Arbeitsbelastung ja. Gleichzeitig sieht man, dass es Herausforderungen gibt, und ich stelle mich gerne Herausforderungen. Aber ich bin froh, dass es jetzt einen Nachfolger gibt, der das auch machen wird.

Wie läuft der Übergang?
Ich glaube, dass wir hier einen korrekten Übergang erreichen.

Es wird ja gerade viel über politische Postenbesetzungen diskutiert. Was war aus Ihrer Sicht der unverschämteste Interventionsversuch seitens der Politik?
Ich bin mit der Gabe gesegnet, unangenehme Dinge rasch zu vergessen.

Wenn jetzt so viel über die Qualifikation eines Casinovorstands diskutiert wird, haben Sie sich nicht auch schon im Stillen über die Qualifikation des einen oder anderen neuen Notenbankvorstands gewundert?
Es wäre nicht fair, hier eine Einzelbeurteilung vornehmen zu wollen. Generell halte ich fest, dass es für sensible Positionen in der Wirtschaft im Staatsbereich hilfreich und im Interesse aller Beteiligten wäre, Positionen – analog zu den USA zum Beispiel – nach einem Hearing zu besetzen. Diskussionen über die Qualität von Bewerbern bekämen so eine bessere Grundlage.

Ich frage anders: Sie sind ja ein Anhänger der guten Kleiderordnung. Hat die gestimmt?
Die gute Kleiderordnung ist die formale Seite. Formal ist sicher alles eingehalten worden. Darüber hinaus wäre es nicht fair, Noten abzugeben.

Politisch beklagen Sie wachsenden Populismus, dass Angstthemen die Politik beherrschen, und der Brexit empört Sie als Ergebnis einer verantwortungslosen Politik. Sind das nicht düstere politische Aussichten eines Mannes, der immer als Beruhiger aufgetreten ist?
Ich habe mich immer bemüht, ein Element der Ruhe und der Rationalität zu sein. Das heißt aber nicht, dass man Probleme ausblendet, die es gibt. Es ist die Häufung von so unterschiedlichen Dingen, die einen schon nachdenklich stimmt.

Brexit, Italien, Handelsschranken, Nationalismus: Was ist für Sie am beunruhigendsten?
Am beunruhigendsten ist für mich, dass das System der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit zunehmend infrage gestellt wird. Damit besteht die Gefahr, dass eine große Lehre aus der Vergangenheit ignoriert wird. Dass nämlich Kooperation besser ist als Handelskriege, die ja dann immer die Tendenz haben, zu eskalieren.

Die Krise 2008 wurde durch Banken herbeigeführt, die nächste Krise könnte also ausgelöst werden, weil politisch kein Einvernehmen mehr besteht?
Vor allem wurde die Krise 2008 gelöst durch eine wirklich bemerkenswerte internationale Kooperation. Jetzt sehe ich keine Ansätze, dass im Notfall eine solche Kooperation zustande kommen könnte.

Aus Ihrer Sicht und Erfahrung: Wie sollen wir mit dem umgehen, was passieren muss, damit es wieder besser läuft?
Dass man alles tun sollte, um die Rolle der internationalen Institutionen in der Weltwirtschaft zu stärken, und sich auch die Europäer gemeinsam für diese Stärkung einsetzen sollten. Nur so gibt es eine Möglichkeit der Einflussnahme.

Sie wollen diese Institutionen bewahren und stärken. Müssen sich diese nicht trotzdem an die heutige Zeit anpassen?
Eine zentrale Reform ist, anzuerkennen, dass sich die Gewichte in der Weltwirtschaft verschoben haben. Man muss den Staaten Asiens und insbesondere China z. B. im Internationalen Währungsfonds und bei der Weltbank ein größeres Gewicht geben, damit sie sich für diese internationalen Organisationen mitverantwortlich fühlen. Sonst sehe ich die Gefahr, dass die Staaten, die sich jetzt nicht adäquat vertreten sehen, sich ihre eigenen Institutionen schaffen. Ansätze gibt es ja schon.

Wirtschaftlich, meinen Sie, müssen wir uns auf eine lange Phase mit geringem Wachstum, niedriger Inflation und hoher Verschuldung einstellen. Das klingt nicht nach rosigen Aussichten.
Die Entwicklungen, wie wir sie gerade unmittelbar sehen, sind tatsächlich nicht rosig, die Ängste werden größer. Wir müssen jetzt aufpassen, dass sich diese nicht verselbstständigen und ein eigener Krisenherd, ein Selbstläufer werden. Daher mein Bemühen, Dinge ernst zu nehmen, aber übertriebene Ängste nicht zu unterstützen. Die Notenbank alleine kann das aber nicht leisten.

Die Rolle der Politik fordern Sie ja seit Langem ein. Sind Sie frustriert, dass die Politik da nicht gehandelt hat?
Ich glaube, es wäre unfair, zu sagen, dass die Politik nicht gehandelt hat. Es sind etliche Maßnahmen gesetzt worden, vielleicht nicht immer die zweckmäßigsten. Aber wir haben heute doch eine deutliche Verbesserung des Bankensektors, wir sind ein interessanter Standort für wichtige Forschungsinstitutionen auch großer ausländischer Konzerne geworden und manche Universitäten, gerade im Bereich Technik und Wirtschaft, können sich international sehen lassen. Man kann bei allem mehr verlangen, aber man soll nicht ignorieren, was geleistet wurde.

Bringen wir es auf den Punkt: Was muss die EZB, was die Politik tun, um die Konjunktur in Schwung zu bringen?
Für die EZB sehe ich noch keinen unmittelbaren Handlungsbedarf. Im Bereich der Politik müssen Staaten, die noch fiskalischen Spielraum haben, diesen zur Nachfragestärkung nutzen. Und die Politik muss Forschung und Entwicklung sowie den Bildungssektor stärken.

Als den größten Erfolg in Ihrer Zeit als Notenbankchef bezeichnen Sie die Verhinderung einer Weltwirtschaftskrise. Gibt es etwas, was Sie gerne erreicht hätten, aber nicht geschafft haben?
Natürlich hätten wir alle gerne erreicht, dass es zu einem rascheren Wirtschaftsaufschwung kommt, und dass es zu einer besseren Koordinierung der Geld- und Finanzpolitik kommt. Das ist nicht geschehen, weil auf europäischer Ebene die Meinungen doch zu unterschiedlich sind. Die wirtschaftlichen Grundpositionen in der EU driften auseinander, und gemeinsame Wege zu finden, erweist sich als zunehmend schwierig.

Sie werden Präsident der österreichischen Gesellschaft für Europapolitik. Erklären Sie bitte den Bürgerinnen und Bürgern in einem Satz, warum die EU unverzichtbar ist?
Vergesst nicht die Lehren der Geschichte. Den Europäern geht es dann gut, wenn sie einig miteinander umgehen und nicht, wenn sie sich gegeneinanderstellen.

Gibt es eine Art Antithese zu Populismus und Nationalismus?
Wir müssen uns um langfristige Vernunft und Seriosität bemühen. Es nützt nichts, kurzfristigen Versprechungen zu folgen, man muss denken, was langfristig für eine Volkswirtschaft und einen Staat sinnvoll ist. Meine Sicht war immer die, dass die unabhängige Notenbank die Institution sein soll, die die langfristigen Perspektiven im Land verkörpert.

Sehen Sie die Vernunft und die Verantwortung in der Notenbank in Gefahr?
In der Notenbank nicht, aber in der Gesamtdiskussion bin ich schon besorgt.