"Ich erwarte mir ein gutes Grazer ÖVP-Ergebnis", legt der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP) im Gespräch mit der Austria Presse Agentur die Latte für seinen Parteifreund, den Grazer Langzeitbürgermeister Siegfried Nagl, hoch. Es gelte das gute ÖVP-Ergebnis von 2017 (37,8 Prozent) zu verteidigen: "Die Stimmung ist gut, aber das heißt noch nicht, dass das auch schon Stimmen für uns sind." Klare Verhältnisse wären schön. Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) hege Befürchtungen, dass es bei einer möglichen Dreierkoalition (in der vergangenen Legislaturperiode koalierte die ÖVP mit der FPÖ, Anm.) in Richtung Unregierbarkeit gehe. Die zweitstärkste KPÖ als Partner habe Nagl ja ausgeschlossen. Schützenhöfer hält eine Zusammenarbeit auch mit den Grünen, Neos oder der SPÖ für denkbar. "Von der SPÖ hoffe ich, dass sie wieder in den Stadtsenat einzieht, aber bitte nicht auf unsere Kosten", zeigt sich Schützenhöfer erneut als ausgewiesener Großkoalitionär.

U-Bahn, nur wenn Bund die Hälfte zahlt

In Bezug auf einen der Wahlkampfschlager macht Schützenhöfer deutlich, dass er inhaltlich voll hinter Nagl steht. Für den Großraum Graz spricht er sich in Hinblick auf die Öffi-Ausbaupläne dafür aus, dem U-Bahn-Ansatz seines Parteifreundes Nagl nahezutreten. Es werde ja gerade an einem Verkehrskonzept aller Fraktionen gearbeitet. Eines sei aber klar, macht er auch gleichzeitig eine Einschränkung: Denkbar sei das Vorhaben nur, wenn der Bund wie in Wien die Hälfte dazuzahle.

Neue Abgaben und Studiengebühren sind Thema

Eine Nahverkehrsabgabe könne er sich "momentan nicht" vorstellen, sagte der Landeshauptmann. Aber bezüglich Budget 2023/24 werde man in Gesprächen mit völlig offenem Ausgang sein: "Da werden wir zu debattieren haben, ob wir der Vorstellung nahetreten können, ob wir nach dem Ende der Krise temporäre Abgaben haben, wie immer sie dann auch heißen." Auch die Frage, ob es etwa im Hochschulbereich sozial gestaffelte Beiträge geben könnte, müsse debattiert werden. Man habe ja speziell im FH-Bereich viele Studenten aus Oberösterreich, die bei einem Studium in ihrem Bundesland auch Studiengebühr zahlen müssten.

Murtalbahn: "Totalerneuerung ist unmöglich"

In der klimapolitisch eminenten Verkehrsfrage sah Schützenhöfer die Steiermark "auf einer guten Spur", mit S-Bahn-Ausbau und den Großprojekten Koralm- bzw. Semmeringbasistunnel: "Wir gehen gerade das letzte große Neubaustück zwischen Graz und Weitendorf mit über drei Kilometer Unterflurtrasse an." Es gehe tatsächlich darum, den Verkehr von der Straße auf die Schiene zu bringen - ohne die verschiedenen Verkehrsformen gegeneinander auszuspielen. Das werde gelingen, auch das Klimaticket-Projekt von Grünen-Ministerin Leonore Gewessler sei ja in Umsetzung. Zur auch für vor den Salzburger Lungau wichtigen Murtalbahn sagte der Landeshauptmann, die Steiermark zahle da im Jahr 2,1 Mio. Euro, Salzburg 0,4 Mio. Euro. Mit Gewessler sei ja eine Arbeitsgruppe zur weiteren Vorgangsweise vereinbart. "Eine totale Erneuerung der Bahn ist politisch und finanziell nicht möglich. Wir wollen sie aber erhalten, es gibt verschiedene Kostenvarianten und Möglichkeiten. Was immer wir auch entscheiden, es muss jedenfalls schneller als bisher von Unzmarkt nach Tamsweg gehen."

Impfung: "Ein gewisser Sättigungszustand"

Stichwort Grund- und Freiheitsrechte in Zeiten einer Corona-Pandemie angesichts von Demonstrationen und einer gewissen Verweigerung der Menschen gegenüber der Impfung: "Ich befürchte, es ist ein gewisser Sättigungszustand in unserer Gesellschaft eingetreten, es hat sich viel Beliebigkeit eingenistet. Die eigene Befindlichkeit ist für viele das Maß aller Dinge geworden, Solidarität ist abhandengekommen", war Schützenhöfer nachdenklich. Er erinnere sich gut, noch in den 1970ern und 1980ern, da habe man sich nach harten politischen Auseinandersetzungen dennoch in die Augen schauen können. Nun sei der Diskurs und der Ton oft verletzend und so tief geworden, bis hin zu Anzeigen. Das gefährde den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Aber er wolle auch nicht pessimistisch sein. Die Forschung habe in kürzester Zeit einen Impfstoff gegen Covid-19 entwickelt, und "die Arbeitslosigkeit geht nach den Lockdowns wieder zurück und die Wirtschaft springt an. Und auch der Klimaschutz ist nun wirklich bei uns angekommen."

"Der Westen hat Afghanistan im Stich gelassen"

Schützenhöfer äußerte auf Befragen Unverständnis für westliche Politik in Bezug auf Afghanistan. Er verstehe in Hinblick auf die Entwicklungen am Hindukusch den von ihm sonst sehr geschätzten US-Präsidenten Joe Biden nicht, wie man das Land im Stich lassen konnte. Ob es wieder eine Migrationssituation wie 2015 geben könnte? "Das ist sehr schwer voraussagbar, in dem Ausmaß sehe ich es nicht. Aber viele Menschen, die keine Perspektiven mehr haben, sehen Europa als gelobtes Land." Man solle aber auch nahe liegende Probleme nicht vergessen, bezog sich Schützenhöfer auf eines seiner bevorzugten Zitate, wonach sich laut Robert Schumann das Schicksal Europas in Afrika entscheide. "Es gibt zur Stabilisierung kaum einen anderen Weg als Hilfe vor Ort." Das müsse mehr sein, als Millionen von Euro zum Abhalten von Migranten an die Türkei unter Recep Tayyip Erdogan zu überweisen, so der LH. Andererseits möge man Europa in der Kritik an seiner Rolle in der Welt nicht unrecht tun. Es erhebe seine Stimme, wenn Grund- und Freiheitsrechte gefährdet seien. Die Zukunft könne trotz Rückschlägen etwa in der Türkei oder Syrien oder Libyen nur eine demokratische sein.