Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden auch jüdische Schülerinnen und Schüler zunehmend ihrer Rechte beraubt - bis hin zum Verweis von den bisherigen Schulen. An der heutigen HAK Grazbachgasse in Graz betraf es mindestens 19 Schüler - neun von ihnen wurden ermordet. Ihnen allen werden am 29. September neue "Stolpersteine" gewidmet. Ihre Biografien wurden von Schülern der HAK Grazbachgasse mit Unterstützung des Grazer Vereins für Gedenkkultur recherchiert.

Archive und alte Klassenbücher: Schüler recherchierten Biografien

Die Schüler des vierten Jahrganges haben unter der Leitung ihres Geschichteprofessors Michael Luger über mehrere Monate die Biografien von ehemaligen jüdischen Schülerinnen und Schülern in alten Klassenbüchern, Online-Datenbanken und Archiven recherchiert: Jene von Henriette Klugmann beispielsweise, die 1923 in Graz geboren wurde und in der Volksgartenstraße 1 lebte. Ihr Vater besaß ein Geschäft für Stoffe und Knopferzeugung, welches er im April 1938 aufgeben musste.

Henriette war gerade im ersten Jahrgang, als man sie im April 1938 aus der Schule rausgeworfen hatte. 1939 flüchtete die Familie in die Heimatstadt von Henriettes Vater, nach Sniatyn im damaligen Polen, heute in der Ukraine. "Bedauerlicherweise wurden aber drei Jahre später, 1942, Henriette und ihre Mutter von der nationalsozialistischen Schutzstaffel (SS) in der Nähe von Sniatyn ermordet", halten die Grazer Schüler heute fest. Dem Vater gelang die Flucht nach London und später in die USA, wo die Schüler eine Nachfahrin ausfindig machen konnten.

Die Spuren verlieren sich

Tragisch endete auch das Leben von Janos Vajda, der 1919 in Ungarn geboren wurde. Er wohnte in der Wielandgasse 22/1 und besuchte im Schuljahr 1937/38 den Abiturientenkurs der damals so genannten Kaufmännischen Wirtschaftsschule für Knaben in der Grazbachgasse. Diesen konnte er nicht mehr abschließen. "Was mit ihm 1938 geschah, konnten wir nicht herausfinden. Seine Spur findet sich erst wieder im Jahr 1944. Am 11. November wurde er in das Waldlager 5 des KZ-Außenlagers Mühldorfer Hart in Bayern deportiert, wo er bis Anfang 1945 inhaftiert war und angeblich an 'Herzschwäche' verstarb", wie die Schüler herausfanden.

In manchen Fällen bleibt die Biografie der Schüler des Jahrgangs 1937/38 bis heute noch dürftiger: Jene von Franz Horvath etwa, der 1919 in Budapest geboren wurde und am Tegetthoffplatz 2 gemeldet war. Am 28. Mai 1938 von seiner Wohnadresse abgemeldet, flüchtete er zurück nach Ungarn, dann verliert sich die Spur. "Der Lebensweg des jungen Mannes bleibt somit unklar, trotzdem bleibt Franz in unseren Gedanken", schließen die drei Schüler, die den kurzen Lebensweg des Schülers nachzeichneten.

Bilder der letzten Stolperstein-Verlegung in Graz:

In der Kaiserfeldgasse, am Lazarettgürtel und am Karlauer Gürtel wurden am 7. September neue Stolpersteine zum Gedenken an den Holocaust bzw. Opfer des Nationalsozialismus in den Boden eingelassen.

Schüler waren mit ungeheurem Eifer bei der Sache

"Die Schülerinnen und Schüler waren mit ungeheurem Eifer bei der Sache - auch in ihrer Freizeit. Der Verein für Gedenkkultur hat das Ganze wunderbar unterstützt", blickte Michael Luger gegenüber der APA auf die vergangenen Projektmonate zurück. Ziel sei es gewesen, hinter den Namen die konkreten Personen wieder lebendig werden zu lassen. "In etlichen Fällen ist das Leben der Schüler sehr, sehr greifbar geworden - ein Teil konnte fliehen, aber viele sind der Vernichtung nicht entkommen", betonte der Lehrer.

Nachdenken über den Holocaust vor der eigenen Tür

Der Verein für Gedenkkultur hält mit der Verlegung von "Stolpersteinen" nach dem Konzept des Kölner Künstlers Gunter Demnig die Erinnerung an die Opfer des nationalsozialistischen Regimes aufrecht. Mit kleinen, in den Gehweg verlegten Gedenktafeln sollen jene Menschen wieder sichtbar gemacht werden, die ermordet, deportiert, vertrieben, in den Suizid getrieben worden sind oder von Enteignungen betroffen waren. Die Pflastersteine werden meist vor den letzten Wohn- oder Wirkstätten der Opfer in den Boden eingelassen und sollen quasi zum Nachdenken über den Holocaust vor der eigenen Tür anregen. Das Bücken, um die Texte auf den "Stolpersteinen" zu lesen, soll eine symbolische Verbeugung vor den Opfern sein.

In Graz wurde das Konzept erstmals 2013 umgesetzt, schilderte Obfrau Daniela Grabe im Gespräch mit der APA. Mittlerweile sind in der steirischen Landeshauptstadt insgesamt 269 "Stolpersteine" an 99 Orten verlegt worden. Über den Verein Gedenkkultur werden auch die Biografien der Opfer vermittelt und Gedenkspaziergänge zu den "Stolpersteinen" unternommen.