Wie bewerten Sie den jüngsten Missbrauchsvorwurf, in dessen Zentrum der verstorbene Tiroler Skiheld Toni Sailer steht?

Nicola Werdenigg:Die betroffene Dame meldete sich im Frühjahr bei mir und berichtete mir ohne Bitterkeit und mit viel Distanz, was damals passiert sein soll. Sich so einem Thema zu stellen, geht nicht von heute auf morgen.

Das deutsche Nachrichtenmagazin „Spiegel“ brachte jetzt genau diese Geschichte.

Der „Spiegel“ nahm einmal mit mir Kontakt auf und bekundete sein Interesse am Thema Missbrauch. Ich erzählte der Dame, einer nicht mehr im Lande lebenden Tirolerin, davon, klinkte mich dann allerdings aus. Mein Thema ist die Vermittlung von Therapie und Rechtsberatung, ich bin keine PR-Agentur.

Was war die Intention der Betroffenen, sich an die Öffentlichkeit zu wenden?

Sie hat keine ihre Person betreffend. Es geht ihr darum, dass so etwas jungen Leuten nicht mehr passiert.

Erzählen Sie uns von der Frau, die Ihnen ihre traurigen Erlebnisse schilderte, bitte.

Sie hat mittlerweile Abstand gefunden, das war nicht immer so. Nachdem die Sache passiert war, wurde sie magersüchtig, kämpfte mit Gallensteinen, ein psychosomatischer Zusammenhang war unverkennbar. Der Arzt glaubte ihr damals, sie war 14, aber nicht. In Therapie begab sie sich erst später.

Der Weltcupauftakt in Sölden steht vor der Tür und der nächste Missbrauchsvorwurf taucht auf. Ein zufällig gewählter Zeitpunkt sieht anders aus, oder?

Dass Medien Geschichten lancieren, wenn sich zeitlich bedingt das Interesse dem Skisport zuwendet, mag sein. Aber dem Thema wurde auch zuletzt viel Aufmerksamkeit gewidmet, das Interesse ist gesellschafts- und grenzübergreifend groß. Vor allem, wenn es um prominente Beispiele geht.

Sie bezeichnen das Outing als mutigen Schritt - was erwarten Sie sich in weiterer Folge davon?

Es geht nicht um die Schuldfrage, sondern um das Tätermotiv und inwiefern man bereits im Vorfeld tätig werden kann. Die Anschuldigungen reichen bis in die Gegenwart herauf, aber der mediale Pranger bringt die Diskussion nicht weiter.

Am Donnerstag tritt mit Charly Kahr ein medial beschuldigter Ex-Trainer erstmals als Kläger gegen die „Süddeutsche Zeitung“ auf, eine weitere Klage folgt. Wie bewerten Sie das?

Ich kann in seinen beiden Fällen kein Urteil abgeben, Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei ermittelten ja bereits. Aber ich halte die Gegenoffensive Kahrs für eine Kurzschlussreaktion, weil er sich vielleicht nicht bewusst war, was da auf ihn und die Zeugen zukommt. Möglicherweise bereut er das jetzt. Die einzigen Gewinner sind für mich die Anwälte.

Die Verurteilung eines Trainers der Schladminger Ski-HAK, der einen 15-jährigen Schüler missbraucht hatte, sorgte zuletzt für Aufsehen. Wie bewerten Sie die jüngste Verringerung des Strafmaßes auf acht Monate (bedingt auf drei Jahre) plus 3600 Euro Geldstrafe?

Ein Schuldspruch ist ein Schuldspruch. Was für mich allerdings schwerer wiegt, sind die Folgen, mit denen der betroffene Schüler nun konfrontiert ist: Er musste Schladming aufgrund des einsetzenden Mobbings im Zuge des Verfahrens verlassen. In Waidhofen/Ybbs konnte er trotz zunächst bestandener Aufnahmeprüfung nicht an die Schule. Erst war kein Platz verfügbar, dann soll er sportmotorisch nicht entsprochen haben. Im Winter brach er sich das Schlüsselbein, mittlerweile ist er aus dem Landeskader geflogen und beendete seine Laufbahn.

Und wie bewerten Sie das?

Die Umgebung wollte den Jugendlichen nicht mehr. Ich habe bei der ÖSV-Frauenbeauftragten Petra Kronberger interveniert, aber es kam zu keiner Lösung.

Wie bewerten Sie die allgemeine Aufklärungswelle, die zuletzt auch über die Tiroler Festspiele Erl schwappte?

Im Bereich darstellende Kunst - Bühne und Film -, dazu im Militärbereich und im Sport ist Studien zufolge die Gefahr eines Übergriffs in Form systematischer sexueller Gewalt am größten. Überall dort, wo der Körper ein Werkzeug darstellt und Hierarchie zum Tragen kommt.

Erwarten uns weitere Meldungen wie im Fall Sailer?

Davon gehe ich aus. Bislang wurde erst die Spitze des Eisbergs ausgegraben. Wir warten noch auf die Erfüllung unserer Nummer-1-Forderung, einer soliden Studie zum Thema, damit wir Fakten sprechen lassen können. Ich hoffe, dass das mit dem neuen Sportministerium ins Laufen kommt.

Ist das Ihre einzige Forderung?

Kürzlich meldete sich ein Zeuge bei mir, der einen Fall von sexuellem Missbrauch beobachtet haben will. Der wollte wissen, wie er sich verhalten soll. Ich wünsche mir eine europaweite Clearing-Stelle, die für Täter, Opfer und auch mutmaßlich Beschuldigte Anlaufstelle ist. Auch Letzteres darf man keineswegs ausblenden.