Sie stehen voll im Training?
Benjamin Raich: So ist es.

Heißt das, dass Sie beim Weltcupauftakt am 26. Oktober am Rettenbachferner im Starthaus stehen werden?
Raich: Ich halte es gewöhnlich so, dass ich die Entscheidungen dann treffe, wenn es notwendig ist. Ich trainiere, ich bin fit, aber es ist nach wie vor alles offen.

Sie haben diesbezüglich mehrfach betont, dass die Entscheidung letztlich auch im Bauch getroffen wird. Wie darf man sich das vorstellen?
Raich: Ich warte auf ein Gefühl. Ich muss einfach spüren, dass ich es noch einmal unbedingt will. Dass ich die Überzeugung kriege, bei jedem Rennen, auch bei schwierigen Bedingungen, voll aus mir herauszugehen, regelrecht zu explodieren. Dafür ist es jetzt im Sommer einfach noch zu früh. Es ist nicht so, dass ich etwas vor mir herschiebe. Aber ich weiß, dass dieses Gefühl noch kommen muss.

Und wenn es nicht kommt?
Raich: Dann höre ich auf, ich bin auf alles vorbereitet. Ich bin in der glücklichen Lage, dass ich schon sehr viel erreicht habe und im Prinzip machen kann, was ich will. Und ich muss auch niemandem mehr etwas beweisen.

Das haben Sie vor vielen Jahren auch schon gesagt. Und doch ist es so, dass gerade das frühe Aus im Riesentorlauf der Weltmeisterschaft 2015 in Vail einen tiefsitzenden Stachel hinterlassen hat.
Raich: Das war sicher eine meiner größten Niederlagen, an der ich ordentlich zu knabbern hatte. Es hätte an diesem Tag alles passieren können, weil alles gepasst hat: der Speed, das Material, das Wetter, die Piste, die Kurssetzung – und dann ist nach 30 Sekunden alles vorbei. Du stehst da und weißt nicht, was los ist – und warum dieses Richtungstor da drüben steht. Du weißt nur, dass du eine Riesenchance ausgelassen hast. Und dazu kommt die Gewissheit, dass es vielleicht die letzte WM war. Obwohl ...

Obwohl ..?
Raich: Ich kann mir schon auch vorstellen, in St. Moritz (WM 2017) dabei zu sein.

Um wieder um die Medaillen mitzufahren?
Raich: Wenn, dann muss dies das Ziel sein. Klar.

Gibt es so etwas wie die Sorge, dass Sie im Falle des Weitermachens und eventuell ausbleibenden Erfolges selbst an Ihrem Denkmal kratzen könnten?
Raich: Dieses Risiko muss man eingehen. Und ich bin einer, der die positiven Möglichkeiten sieht und sich nicht vor dem Versagen fürchtet. Ich habe gerne eine breite Brust.

Was sagen Sie dazu, dass Anna Fenninger Ihre ÖSV-Teamkollegin bleibt?
Raich: Für mich war das die einzig vernünftige Lösung. Und man kann zu unserem Präsidenten (Peter Schröcksnadel, Anm.) stehen, wie man will: Dass wir sehr gutes Geld verdienen können, haben wir vor allem seinem Engagement, seinem Geschäftssinn und seinem Fanatismus für den Skisport zu verdanken.

Hatten Sie als Topverdiener jemals das Gefühl, in dem System draufzuzahlen?
Raich: Nein, gerade als Topathlet sollte man nicht jammern, sondern dankbar sein.

Und wenn Kritiker von Knebelverträgen sprechen?
Raich: Ich habe mich nie eingeengt gefühlt. Im Prinzip kann man ohnehin für alles Werbung machen, nur halt nicht für ein Konkurrenzprodukt. Aber dafür brauche ich keine Verträge, das ist für mich von Haus aus klar.

Der Raich, werden einige sagen, hat leicht reden. Er ist ja so etwas wie ein ÖSV-Musterschüler?
Raich: Dieses Wort hat immer einen gewissen Beigeschmack. Es ist sicher nicht so, dass ich ein Ja-Sager bin oder mit dem Strom mitschwimme. Im Gegenteil. Aber ich versuche stets, das Gespräch, die Diskussion zu suchen. Je früher, desto besser. Und nicht über Mail oder auf Facebook, sondern im direkten Kontakt. Ich setze mich mit dem Jeweiligen an einen Tisch, schaue ihm in die Augen und versuche, ihn mit meinen Argumenten zu überzeugen. Oder er überzeugt mich. Oder es endet mit einem Kompromiss.

Dennoch wird der ÖSV das Image nicht los, vor allem verbandskonforme Typen hervorzubringen.
Raich: Ich habe immer gesagt, was ich mir gedacht habe. Aber klar: Der Schröcksi gibt die Richtung vor. Und in einem Verband ist es das Um und Auf, dass einer mit der Fahne vorausrennt.

Sie sind, wenn man so will, vom alten Schlag, haben viele Ihrer Vertragsverhandlungen selbst geführt.
Raich: Ich bzw. wir haben das flexibel gehandhabt. Mit den Skifirmen habe zumeist ich verhandelt, manchmal war mein Papa dabei und oft habe ich mich mit dem Präsidenten beraten. Es muss nicht immer ein Manager oder ein Rechtsanwalt dabeisitzen. Ich glaube, dass das oft sogar kontraproduktiv ist. Viel wichtiger ist, dass man weiß, was man will.

Ohne dabei unverschämt zu werden.
Raich: Klar, aber auch, ohne sich unter Wert zu verkaufen. Ein Gerhard Berger hat – so viel ich weiß – seine Verträge auch selbst ausgehandelt und – soweit mir bekannt ist – stets die besten Abschlüsse hinbekommen.

Das Gespräch führte Max Ischia.