"Viel Glück", sagt die Rezeptionistin in meinem kleinen Pariser Hotel, als ich mich an diesem bewölkten Sonntagmorgen auf den Weg mache. Vorbei am Zeitungskiosk, so wie in den vergangenen zwei Wochen auch. Leicht erschöpft, denn sportliche Dauererfolge zehren auch an der journalistischen Kondition. Serge, der Verkäufer, lächelt und legt die „L’Équipe“, Frankreichs legendäre Sportzeitung, auf den Tresen. Thomas Muster auf der Titelseite. „Ihr werdet gewinnen“, sagt Serge und schließt mich gleich in seine patriotische Prophezeiung mit ein. „Es lebe der König“, ruft er mir nach und hebt den rechten Daumen.

Ein Finale mit Muster ist an diesem 11. Juni 1995 längst nichts mehr Besonderes. Thomas ist als Seriensieger und Favorit nach Paris gekommen, hat bis zum Einzug ins Endspiel 34 Spiele ohne Unterbrechung auf Sand gewonnen und schon insgesamt elf seiner zwölf Titel auf roter Asche geholt. Nur noch ein Sieg . . .

Bei der Metro-Station Porte d’Auteuil in unmittelbarer Nähe des Stadions Roland Garros wird’s richtig heimelig. Drei junge Männer haben sich mit rot-weiß-roter Farbe das Gesicht bemalt und lassen in der Zuschauerkarawane fahnenschwingend keinen Zweifel ihrer Herkunft aufkommen: „Immer wieder, immer wieder, Österreich“. Die Einstimmung auf das Ereignis dürfte bei dem Trio schon in der vergangenen Nacht begonnen haben.

Ein Grand-Slam-Finale gehört nicht nur für außergewöhnliche Sportler zu den außergewöhnlichsten Momenten einer Karriere. Dieser Sonntagnachmittag in Paris zieht die Tenniswelt vor den TV-Geräten und 16.500 Fans auf dem Centercourt in seinen Bann. So wie meine Journalistenkollegen und mich. Spätestens zu dem Zeitpunkt, als wir eine eigene Loge direkt am Centercourt zugewiesen bekommen, die ausschließlich den Medienvertretern aus den Herkunftsländern der Finalisten vorbehalten ist.

Um exakt 15.10 Uhr eröffnet Thomas Muster das Finale gegen Michael Chang. Als Thomas um 17.12 Uhr den Matchball zum 7:5, 6:2, 6:4 verwandelt und damit ein Meisterwerk rot-weiß-roter Sportgeschichte schreibt, fällt mir Kollege F. mit Tränen in den Augen um den Hals und fragt: „Was sollen wir jetzt noch schreiben?“
Der Rest ist Geschichte – und für mich noch immer so, als ob es heute wäre"

MICHAEL SABATH