Sie zählen zu den acht Auserwählten von Bahrain-McLaren für die Tour de France (29. August bis 20. September). Heute wartet noch ein Corona-Test, danach geht es zum Team. Warum freut man sich über die Einberufung zu einem Radrennen, das sich über 3470 Kilometer auf drei Wochen erstreckt?

Es ist meine fünfte Tour, seit meinem Debüt 2015 war ich immer am Start. Nur 2018 fehlte ich verletzt. Für mich ist es nach meinem Debüt aufgrund des Teamwechsels sicher die wertvollste Einberufung. Es ist im neuen Umfeld nicht immer einfach, sich auch durchzusetzen. Aufgrund der Corona-Situation gab es zudem weniger Rennen, um sich präsentieren zu können.

Zuletzt bei der Tour de Wallonie holten Sie einen siebenten Platz. Ansonsten stechen Sie nicht unbedingt als Kletterer oder Sprinter ins Auge. Womit punkten Sie?

Ein Fahrertyp wie ich wird schon mit Kalkül verpflichtet. Ich erhalte nicht Verträge, weil ich Rennen gewinne, sondern weil ich solide Arbeit leiste. Das ist auch der Grund, warum ich bei der Tour dabei bin - ich denke, auf mich ist einfach Verlass. Ich habe bei allen meinen sechs Grand-Tours das Ziel erreicht. Das wird auch heuer so sein.

Wie lautet Ihre Aufgabe?

Das Team zu unterstützen und für den Kapitän Mikel Landa da zu sein.

Das erinnert an Ihren Ex-Kollegen: Sind Sie ein Bernhard Eisel 2.0?

Nein, ich bin Marco Haller 1.0. Ich will nicht mit anderen verglichen werden, auch wenn ich mich vor seiner Karriere verneige.

Um so eine Mammutaufgabe wie die Tour zu bewältigen, braucht es Ziele. Ein Etappensieg ist jedoch nicht realistisch, was dann?

Stimmt. Wir verfügen im Team über einen Plan A und dieser lautet Mikel Landa. Es gibt kein links und rechts, das ist jedem bewusst. Von unserer achtköpfigen Mannschaft sind sieben Fahrer einzig und allein darauf ausgerichtet, Mikel zu unterstützen.

Zum einen der Herbst-Termin und andererseits werden sich die Zuschauermassen in Grenzen halten - wird es dennoch eine Tour, wie man sie kennt?

Ich bin froh, dass es überhaupt diese Tour de France gibt. Sie ist die große Bühne des Radsports. Eine Absage hätte dem ganzen Sport einen enormen wirtschaftlichen Schaden zugefügt. Wenn heuer das Ganze bis nach Paris durchgezogen werden kann, ist die Branche mit einem blauen Auge davongekommen. Die Tour heuer wird sicher anders und eine Herausforderung sein. Wir können ja nicht hinter geschlossenen Türen spielen.

Für diese Rundfahrt benötigt es eine lange Vorbereitung. Wird das Leistungsniveau speziell heuer darunter leiden?

In Spanien oder Italien durften Profis wochenlang nicht aus dem Haus. Ich hingegen konnte mein Pensum durchziehen, um die Tour-Quali zu schaffen. Nachträglich betrachtet hätte ich aber etwas runterschalten können. Mittlerweile sollten alle aber wieder fit sein. Es werden exakt die gleichen Leute schnell fahren wie sonst.

Haben Sie Angst vor einer Covid-19-Infektion?

Ja, wenn es darum geht, das Team bei der Tour zu gefährden (bei zwei positiven Corona-Tests wird das gesamte Team disqualifiziert, Anm.). Bahrain-McLaren setzt jedoch irrsinnig viele Vorsichtsmaßnahmen, um diesem Fall aus dem Weg zu gehen. Wir werden völlig abgeschirmt leben.

Welches Leben erwartet Sie in dieser Zeit?

Das ganze Team ist wie immer darauf ausgerichtet, dem Fahrer alles abzunehmen. Wir müssen nur noch fünf, sechs Stunden am Rad sitzen. Es gibt ausgedehnte Physiotherapie, wir haben einen Koch und einen Osteopathen im Tourbus dabei. Sollten wir in einem Hotel schlafen, bekommen wir eine eigene Etage, um anderen Teams nicht über den Weg zu laufen.

Nimmt man Frankreich radelnd überhaupt wahr?

Wenn man über der Schwelle durch die Alpen prescht eher nicht. Aber sonst bleibt schon genügend Zeit, die Landschaft zu genießen. Ich schätze das sehr an meinem Sport. Fußballer etwa nächtigen egal wo sie sind in Luxus-Hotels. Wir schlafen manchmal in Zwei-Stern-Hotels und bekommen beispielsweise auch vom Leben in der Cognac-Region etwas mit.

Zu Lockdown-Zeiten haben nicht alle Länder strenge Doping-Kontrollen durchgeführt. Könnte sich das noch auf die Leistungen auswirken?

Ich kann nur von mir sprechen: Ich wurde auch in dieser Phase mehrmals kontrolliert. Auf die anderen Ländern habe ich keinen Einfluss und verschwende auch keine Energie in solche Gedanken.

Erfolge bei der Tour bringen den Teams sowie den Fahrern mehr Geld als anderswo. Wie hoch fällt Ihre Prämie aus?

Unwesentlich. Wir Fahrer teilen uns das Preisgeld wie bei allen Rennen zu gleichen Teilen auf. Das wäre auch bei einem Tour-Sieg der Fall. Von den 500.000 Euro Preisgeld fließt knapp die Hälfte in Doping-Kontrollen - auch um Glaubwürdigkeit zu zeigen. Dann wird in einen Topf für die Radsport-Pension eingezahlt. Nach Steuern werden noch 20 Prozent an den Betreuerstab ausgeschüttet.

Auf welcher Etappe könnte heuer die Entscheidung fallen?

Die heurige Tour gestaltet sich insgesamt als irrsinnig spannend. Vielleicht weil die Vorbereitung nicht so glatt, so geplant abgelaufen ist. Schlüsseletappen gibt es ab dem ersten Wochenende, es bleibt keine Zeit zum Einrollen. Klassement-Fahrer müssen sofort präsent sein. Die Tour kann jeden Tag verloren werden. Gewonnen ist sie immer erst in Paris.

Wer gewinnt die Tour?

Mikel Landa.

Anders gefragt: Wer sind die Favoriten außerhalb Ihres Teams?

Im Ernst: Ich glaube wirklich, dass er über gute Chancen verfügt. Er ist immer ein bisschen unter dem Radar unterwegs, aber sehr solide und konstant. Team Jumbo-Visma ist sehr stark aufgestellt und hat Team Ineos die Favoritenrolle abgenommen.

Nach der Tour warten die sogenannten Frühjahrs-Klassiker. . .

Das könnte dann meine Zeit werden. Ich verspreche ich mir gute Chancen, auf eigene Kappe fahren zu können. Es wird jedenfalls ein dichter Zeitplan. Aber wir alle sind ja ausgeruht.