Peking liegt bekanntlich ein bisschen östlich von Attnang-Puchheim, was die Einheimischen gerne mit Nang-Pu abkürzen, ist größer als Len-zing und hat angeblich etwas mehr Einwohner als Pichl-wang, aber was dort die olympischen Ringe verloren haben, hat sich mir in den vergangenen Wochen nicht erschlossen.

Die Chinesen sind ein lustiges und höfliches Völkchen. Wenn sie jemanden einladen, machen sie präventiv Flecken in die Tischdecke, damit sich die Gäste wie zu Hause fühlen. Auch vor den vierundzwanzigsten Olympischen Winterspielen wurde mit dem Anpatzen und Selbstbeflecken nicht gespart, die Besucher haben sich dennoch nicht sonderlich wohlgefühlt.

Zwar hat man bei den Wettkampfstätten nicht gekleckert, prächtige Schanzen, Stadien und Eiskanäle gebaut, aber die Sportanlagen stehen allesamt in einer unwirtlichen, depressiv machenden Landschaft, die so viel Winterwunderwelt ausstrahlt wie ein nackter Mondkrater. Außerdem ist es derart kalt, dass der Sauerstoff flüssig vom Himmel tropft. Um zumindest einen Hauch Idylle zu erhalten, wurde wie wild Kunstschnee versprüht. Böse Zungen behaupten, es handle sich um kristallines Desinfektionsmittel. Früher wurden bei Spielen Gratiskondome verteilt, diesmal Schutzmasken und Einweghandschuhe. Von wegen Fest und gute Laune.

Auch die Stimmung bei den Wettbewerben war so ausgelassen wie eine Faschingsparty von stuporösen Katatonikern. Die wenigen besetzten Tribünen, so es sich nicht um vereiste Serviceleute einzelner Nationen handelte, wirkten wie Delegationen von Zwangsverpflichteten mit der Begeisterung von nordkoreanischen Parteimitgliedern.

Noch nie wurden so viele Wettkämpfe vor so wenig Publikum ausgetragen. Alles unwirklich wie ein Playstation-Spiel. Die Schuld an dieser stimmungsmäßig lauwarmen Suppe auf Covid abzuwälzen, wäre zu einfach. China, eine Nation von Wasserspringern und Tischtennisspielern, hat es nur in wenigen Disziplinen geschafft, konkurrenzfähige Athleten zu stellen. Vielleicht sind sie die weltbesten Akrobaten, Leute, die zwanzig Teller balancieren und gleichzeitig ein Frühstücksei mit Stäbchen schälen und essen können, aber Skispringen, Rennrodeln, Langlaufen? Es ist, als würde man in den Tiroler
Alpen eine Surf-Weltmeisterschaft ausrichten.

Menschlich fehlten diesen Spielen die Geschichten. Kein Wunder, wenn Journalisten nur Hotelgefängnisse, Shuttle-Busse und Teletubbies in Einwegschutzanzügen zu sehen bekommen. Sportlich gingen die großen Stars und Überraschungen ab. Norwegische Langläufer, deutsche Bobfahrer, niederländische Eisschnellläufer, Schweizer Skifahrerinnen – eine in der Endlosschleife gefangene Bestätigung des Immergleichen. Und alles um drei Uhr morgens? Warum müssen die Pekinesen so früh aufstehen? Das ist ja krank, oder zumindest krankmachend. Kein Wunder, dass viele Bewerbe komplett ungeschaut an mir vorbeigegangen sind – Curling, Damen-Eishockey, Skeleton oder Shorttrack. Auch die über gezuckerte Wu Tang hopsenden Skicrosser habe ich kaum mitbekommen, detto die an Suppenschüsselrändern gleitenden Freestyler.

Zur Einstimmung gab es wochenlang Frühlingsrollen, kantonesische Nudeln, Lychee-Saft, Reisbier und Schlangenschnaps. Völlig umsonst. Von diesen Spielen wird mir nicht viel in Erinnerung bleiben. Kein Franz-Klammer-Jubel, keine Hermann-Maier-Brezen, kein Theresa-Stadlober-Verlaufen, nicht einmal ein turrinischer Dopingskandal und auch kein Rainer-Maria-Pariasek-Versprecher.

Ich hätte nie gedacht, dass ich den ewigen Gastgeber der Olympiastudios einmal vermissen werde, aber das Niveau der ORF-Kommentatoren war teilweise doch recht brettljausig rural. Besonders die Co-Einsager wären bei Harry Prünsters liebsten Hütten besser aufgehoben gewesen. Ständig war da von derwuschen die Rede, von Läufen und Sprüngen, die einem auskommen wie unterdrückte Flatulenz. Einzig Alois Stadlober hat mit seinem frischen Naturburschenschmäh die Langlaufbewerbe bespaßt.

Für mich werden die Bilder der Gescheiterten bleiben, eine ausgepumpte Ingrid Landmark Tandrevold mit dem Stehvermögen einer ausgelassenen Luftmatratze, Mikaela Shiffrin, die am Schluss nicht einmal noch eine funktionierende Tränendrüse hatte, ihr Elend zu beweinen, und ein kurzfristig gesperrtes russisches Eiskunstlauf-Wunderkind, das dann doch nur Blech errittbergert hat. Außerdem gab es eine Inflation an goldenen Helmen, welche vermuten lässt, König Midas könnte als chinesischer Zollbeamter wiedergeboren worden sein. Aus österreichischer Sicht wird das Johannes-Strolz-Märchen in Erinnerung bleiben, der sich zu Hirschers Hochzeiten noch in Skiställen mit wachseln die Zeit verkantet hat und nun als doppelter Medaillengewinner in die Vitrine seines Vaters drängt.

Die Heimischen haben ihre Acht Schätze brav zusammengegessen und fahren somit mit einer recht braven Medaillenbilanz zurück. Obwohl es das Patriotenherz schon schmerzt, dass uns auf der Zielgerade ausgerechnet die Schweiz im Medaillenspiegel noch den Käse weggegessen hat. Die Sensationen sind ebenso ausgeblieben wie die Debakel. Die Kombinierer haben sich eugenscheinlich verspekuliert, Vanessa Herzog hätte man eine Medaille gegönnt und Marita Kramer ein Antreten.

Wie gerne würde ich schreiben, in Peking steppte der Pandabär, und den konnten wir nicht alleine steppen lassen. Aber angesichts der eisigen Temperaturen und windigen Weh-Bilder hat man sich bei diesen morgengrauen Spielen lieber unter die Steppdecke verkrochen. Das IOC muss sich Gedanken machen, ob es auch künftige Vergaben von pekuniären Zuwendungen und privaten Umwegrentabilitäten abhängig macht. Sportler und Fans haben zwar nichts zu bestellen, müssen die Suppe aber auslöffeln – und wenn sie dafür nur Stäbchen zur Verfügung haben, ist es eher blöd.

Dienen Sportereignisse zur Selbstinszenierung eines fragwürdigen Regimes, bleibt ein schaler Nachgeschmack. China hat sich im Vorfeld alle Mühe gegeben, das weiße Gastgeber-Tischtuch zu bekleckern. Menschenrechte scheinen im Reich der Mitte kein erstrebenswertes Ziel zu sein. Pressefreiheit gilt als geistige Verirrung westlicher Demokratien. Klimaziele und Umweltschutz werden mit einem lächelnden Pandabär-Maskottchen erledigt. Wer Tibet, Taiwan oder den Tian-anmen-Platz auch nur googelt, muss fürchten, dass sich sein Smartphone oder Computer im nächsten Augenblick in Puffreis verwandelt. Und wenn man von Uiguren oder Ai Weiwei spricht, kann man sich die Dim Sum bald von innen ansehen. China ist ein faszinierendes Land mit einem erstaunlichen wirtschaftlichen Aufschwung, aber auch die Diktatur eines autokratischen Führers, dessen Name an den legendären Dschi Dsche-i Wischer erinnert, der in seinen Taten aber höchst bedenklich ist. Xi Jinpings interessante Biografie reicht von einer öffentlichen Beschimpfung seines der Linienuntreue bezichtigten Vaters bis zum seelischen Brechen in diversen Kadern. Diesem Mann ist alles zuzutrauen.

China ist ein Land, in dem die Meinung des Einzelnen nicht viel zählt. Warum man ausgerechnet dort Olympische Winterspiele ausrichten muss, liegt auf der Hand. Russland, Katar, China … Die reichen Unrechtsregime kaufen sich mit großen Sportevents ein sauberes Image.
Beliebter werden sie dadurch aber nicht, zumindest nicht in Nang-Pu, Len-zing oder Pichlwang. Wenn man also fragt, was von diesen Spielen bleibt, ist zuerst der legendär umfallende Reissack dran. Oder hat man im Ernst geglaubt, eineinhalb Milliarden Chinesen kommen jetzt alle als Wintertouristen ins Kitzloch? Hoffentlich nicht.
Ni hao.

Franzobel, geboren 1967 als Stefan Griebl im oberösterreichischen Vöcklabruck, ist Schriftsteller, Kolumnist der Kleinen Zeitung und Bachmannpreisträger. Bücher u. a.: „Das Floß der Medusa“ (2017), „Rechtswalzer“ (2019), „Die Eroberung Amerikas“ (2021).
Franzobel, geboren 1967 als Stefan Griebl im oberösterreichischen Vöcklabruck, ist Schriftsteller, Kolumnist der Kleinen Zeitung und Bachmannpreisträger. Bücher u. a.: „Das Floß der Medusa“ (2017), „Rechtswalzer“ (2019), „Die Eroberung Amerikas“ (2021). © KK