Die Formel-1-Weltmeisterschaft 2021 hat die Fangemeinde schwer beeindruckt. So spannend war es schon lange nicht mehr. Egal wer jetzt am kommenden Sonntag Weltmeister wird, können Sie schon vor dem Finale eine Bilanz ziehen?
ALEXANDER WURZ: Die WM hat sich derart aufgebaut, dass der Showdown einfach im letzten Rennen fallen musste. Wie damals, als Hamilton und Rosberg um den Titel kämpften. Das war halt ein Mercedes-Duell. Heuer haben wir zwei Teams, die das Duell auf ein Niveau gehoben haben, das es so noch nicht gegeben hat. Dazu kam ein permanenter Trendwechsel, der sich alle drei, vier Rennen wieder verändert hat. Teils durch On-Track-Performance mit Reifenmanagement. Dann kamen motorische und aerodynamische Schwingungen zwischen den beiden Teams dazu. Wir haben sogar einen handfesten Crash (Anm.: Monza) gehabt. Was aber bei so knappen Entscheidungen in der Formel 1 immer dabei war. Und so hat keiner der Protagonisten je einen vorentscheidenden Vorsprung herausarbeiten können. Auf den Punkt gebracht: Hamilton und Verstappen sind ein großartiges Jahr gefahren. Auf einer Ebene. Und so ist es im Grunde völlig egal, wer gewinnt – der große Sieger ist der Zuschauer. Das erklärt den Boom in der Formel 1. Das zeigen die Einschaltquoten.

Würde jetzt noch ein Team wie McLaren, Ferrari, Alpha Tauri, Aston Martin oder Alpine dazukommen, könnte man sagen, dass die Formel 1 seit dem Besitzerwechsel nichts falsch gemacht hat?
Absolut. Es wurden die richtigen Schritte gesetzt in der Post-Ecclestone-Ära. Sie waren wichtig und logisch. Die Tendenz ist erfrischend. Dennoch muss ich warnen. Ein neues Reglement kann die Schere wieder auseinandergehen lassen. Aber: Am Ende rücken durch das Reglement in den nächsten vier, fünf Jahren alle Teams noch enger zusammen. Die Formel 1 hat so, für mich zumindest, eine große Zukunft vor sich. Das wird sich nicht gleich im ersten Jahr zeigen, aber mittelfristig gesehen auf jeden Fall.

Da könnte dann aber wieder im ersten Jahr nur ein Team alles beherrschen.
Durchaus. Wer halt am Anfang gleich alles auf die Reihe bekommt, wer die Grauzonen am besten liest. So wie damals mit den neuen Aerodynamikregeln, als Brawn GP mit dem Doppeldiffusor plötzlich für ein Jahr unschlagbar war und Jenson Button Weltmeister wurde. Aber grundsätzlich denke ich da schon an die üblichen Verdächtigen, ob Silber oder Blau-Rot. Ohne Orange und Rot nicht ganz zu unterschätzen.
Ist also das künftige Antriebskonzept der richtige Weg? Hybrid, sprich Verbrenner und Elektro, zusammen mit synthetischem Kraftstoff?
Die Schritte sehe ich einmal richtig. Weil anders als die Formel E, die eine neue, aber einseitige Antriebsart promotet, ist die Formel 1 ein alteingesessener Sport plus einem alteingesessenen Businessfeld, das Zehntausende Fachkräfte beschäftigt, das rund hunderttausend Arbeitsplätze sichert. In so einem Gefüge kann man, was die Nachhaltigkeit betrifft, nur kleine Schritte machen. Die gehen aber schon in die richtige Richtung. Es wird ja in Zukunft eine Vielzahl von Antriebsarten geben. Es wird nicht nur Diesel, nicht nur Benzin, nicht nur Wasserstoff und auch nicht nur Elektro geben. Wir haben ideale Übergänge zu schaffen und die Formel 1 wird genau da wieder der Vorreiter sein.

Das heißt, unsere Mobilität wird in einem ganz großen Spannungsfeld bewerkstelligt?
Ja, natürlich. Es kann und wird sich nicht nur eine Antriebsart durchsetzen. Es wird auf das Einsatzgebiet ankommen. Im Stadtgebiet, klar, da ist Elektro unschlagbar. Aber nicht nur im Auto, auch im öffentlichen Verkehr. Völlig anders sieht es im ländlichen Bereich aus, beispielsweise in Afrika. Wo viele Rohstoffe aus dem Landesinneren zu einem Hafen gebracht werden müssen. Das ist mit Elektro nie zu schaffen. Da müssen wir eine andere Energieform suchen. Immer die effizienteste.

So gesehen ist ja fast der gesamte Motorsport in einer Vorreiterrolle. Die er im Grunde schon immer eingenommen hat. Die Rallye-WM fährt ab 2022 mit Hybrid-Autos, mit zu 100 Prozent nachhaltigem Kraftstoff. Ebenso die World Endurance Championship (WEC), die gerade einen Aufschwung erlebt.
Vollkommen richtig. Wir haben jetzt schon beim neuen Toyota in der WEC gesehen, wo der Weg hingeht. Alles wird leichter, standfester, effizienter. Hier messen sich immer mehr Hersteller im Motorsport. Wo die besten Ingenieure zu Hause sind. Das alles finden wir dann gleich wieder auf der Straße.

Zurück zur Formel 1. Mit den neuen Motorregeln, mit der Budget-Obergrenze: Welche Chancen haben da die kommenden Neueinsteiger, wie Porsche und Audi?
Kommt drauf an, wie sie das Ganze angehen. Als Motorenlieferant, in einer Partnerschaft mit einem bestehenden Team, oder als lupenreines Werksteam selbst. Alle haben aber erkannt, dass der Motorsport wieder die emotionale Bindung zum Kunden bringt. So haben wir in Le Mans wieder sieben, acht neue Hersteller. Sogar die Budgetverwalter der großen Unternehmen sehen ein, wie extrem wichtig die Emotion beim Auto ist. Die Emotion, die der Sport in höchstem Maße liefert, können wir nicht weglassen. Das Auto skizziert nach wie vor unsere Freiheit stark mit. Aber alles natürlich in einem vernünftigen und durchdachten Rahmen.