Charles Leclerc musste nicht zwangsläufig Rennfahrer werden. Aber er hatte einen großen Vorteil gegenüber anderen jungen Menschen, die im Geschwindigkeitsrausch eine durchaus erstrebenswerte Erfüllung sehen. Er musste nicht zu irgendeinem Rennen fahren, nicht nach Le Castellet oder nach Monza. Nein, der Rennsport kam zu ihm. Und gleich in seiner strahlendsten Form. Die Formel eins fuhr durch sein Kinderzimmer in Monaco. Während er vier Jahre alt war, so erinnert er sich selbst, spielte er auf dem Balkon der elterlichen Wohnung mit einem Rennauto. Es mag schon rot gewesen sein. Aber das Beste dabei war: den O-Ton bekam er frei Haus geliefert, zum Beispiel das V-10-Geheule des Ferrari von Michael Schumacher.

Und weil sein Vater, Herve Leclerc, selbst in den 90er-Jahren Rennfahrer war (Formel 3), war der Weg des jungen Charles vorgezeichnet. Er hatte im Grunde gar keine andere Wahl. Weil einer seiner Freunde hieß Jules. Mit Familienname Bianchi. Der im Juli 2015 an den Folgen seines Unfalls beim Großen Preis von Japan 2014 in Suzuka verstorben ist. Mit Jules war es Charles größtes Vergnügen zur Kartbahn von Jules Vater Philippe nach Bragnoles zwischen Nizza und Marseille zu fahren. Seinen besten Freund hat er vor vier Jahren verloren, 2016 starb sein Vater.
Nun drückt ihm Philippe Bianchi die Daumen. Und so musste sein Tempo auch in seiner Heimat Monaco immer schneller.

Mustergültig

Von Schrittgeschwindigkeit auf dem Schulweg bis zu einer Schnittgeschwindigkeit im gestrigen Qualifying von bis zu 170 km/h.
Das Talent von Charles Leclerc war von Anfang an da. Er erledigte die Grundschule des Rennsports mit Auszeichnung. GP3-Meister, Formel-2-Meister, Aufnahme in die Ferrari Driver Academy, Formel-1-Debüt bei Sauber, heute Nummer zwei bei Ferrari, mit 21 Jahren. Wobei das mit dem Nummer-2-Status so eine Sache ist. Am Anfang der Saison hatte der neue Ferrari-Teamchef Mattia Binotto noch von einer ziemlich klaren Hierarchie im „Roten Reich“ gesprochen. Alles wird auf Sebastian Vettel gesetzt. Leclerc sein die Nummer zwei.

Ob das nach den ersten fünf Rennen auch noch so gilt, zumal Leclerc seinen ersten Ferrari-Sieg in Bahrain nach einem Motorschaden begraben musste? In der WM liegt er auch nur sieben Punkte hinter seinem deutschen Teamkollegen.

So wollte er gerade in seinem Heim-Grand Prix zum großen Überholmanöver ansetzen, im Rückspiegel von Sebastian Vettel hing er schon länger formatfüllend. Aber im Qualifying für seinen Heim-GP lief alles schief. Nach Bestzeit im dritten freien Training schied Leclerc schon im ersten Qualifying-Teil aus. Zuerst wurde er zur FIA-Waage gerufen, wieder Chaos bei Ferrari. Und dann noch eine totale Fehleinschätzung von Ferrari, was das Zeitlimit für ein Weiterkommen in den zweiten Qualifyingteil betraf. Man verzichtete auf einen weiteren Versuch, völlig unerklärlich. Folge: Startplatz 16 und ausgeschieden - ein Eigentor von Ferrari.