Energie ist greif- und spürbar. Dann nämlich, wenn Roger Spry bei Trainingseinheiten des österreichischen Nationalteams die Spieler zum Aufwärmprogramm bittet. Der Conditioning Coach gestikuliert wild, gibt laut Kommandos. Mit 65 Jahren ist der Engländer der Älteste auf dem Platz. Seine Beweglichkeit lässt aber so manchen (jungen) Akteur vor Neid erblassen. Jede Übung – die so ganz abweicht vom üblichen Trott – wird in Perfektion vorgezeigt. Egal, ob Elemente aus den Bereichen Stabilisation, Koordination oder auch aus dem Tanzbereich, es ist immer etwas Neuartiges dabei. Auch beim englischsprachigen Interview-Termin lässt der Bartträger aufhorchen.

Sie haben in knapp 30 Ländern gearbeitet. Im Herbst feiern Sie Ihren zehnten Jahrestag in Österreich. Was hat sich in dieser Zeit verändert?
ROGER SPRY: Heute haben wir junge Spieler, die höchst talentiert sind. Noch dazu spielen sie in Top-Ländern bei Top-Mannschaften. Diese Erfahrung ist unbezahlbar. 2006 hat es mit Paul Scharner und Emanuel Pogatetz zwei England-Legionäre gegeben, die noch dazu bei keinen guten Klubs gespielt haben.

Wie gut ist die österreichische Nationalmannschaft?
SPRY: Es ist die beste Mannschaft, mit der ich je arbeiten durfte.

Sie betonen das Wort Mannschaft. Warum?
SPRY: 2006 haben wir eine Grüppchenbildung gehabt. Hier drei Spieler, dort drei Spieler. Es waren gute und weniger gute dabei. Aber das Problem war, dass es keinen Zusammenhalt gegeben hat. Heute ist es eine Mannschaft. Das Motto lautet: Alle ziehen an einem Strang. Nicht so wie früher, wo es mehr als 20 Einzelgänger gegeben hat.

Bei der EM 2008 ist Österreich in der Vorrunde ausgeschieden. Kam das für Sie überraschend?
SPRY: Naja, wir waren das fitteste Team im ganzen Turnier. Technisch waren wir nicht gut und auch nicht organisiert. Aber wir hätten die Gruppenspiele gegen Kroatien, Polen und Deutschland gewinnen können.

Was ist denn bei der EM in Frankreich möglich?
SPRY: Wir haben alle Qualifikationsspiele auswärts gewonnen. Teilweise haben wir den Gegner vorgeführt. Deshalb brauchen wir vor keinem Land Angst haben. Noch dazu gibt es immer wieder einen Schocker. Dänemark ist 1992 Europameister geworden, obwohl sie sich nicht einmal qualifiziert haben und erst durch den Ausschluss Jugoslawiens hineingerutscht sind. 2004 ist Griechenland zur EM gefahren. Sie wollten erstmals ein Spiel gewinnen. Ja, am Ende haben sie das Turnier gewonnen.

Nach dem Gesetz der Serie sind erneut zwölf Jahre vergangen. Ist Österreich diesmal dran?
SPRY (lacht): Die Serie spricht dafür, da haben Sie absolut recht. Wir wollen sicher nicht nur einmal bei einer Endrunde dabei sein. Man muss immer in die Zukunft schauen und sich Schritt für Schritt neue Ziele stecken. Wir wollen hier langfristig Erfolg haben.

Wo herrscht der größte Aufholbedarf im ÖFB-Team?
SPRY: Marc Janko schießt viele Tore, aber wir sind zu abhängig von ihm. Wenn mehrere Spieler regelmäßig treffen würden, würde es viel leichter für uns sein. Aber grundsätzlich hat jeder Spieler in allen Bereichen Verbesserungspotenzial. Ich würde auch Messi um zehn Prozent besser machen.

ÖFB-Konditionstrainer Roger Spry
ÖFB-Konditionstrainer Roger Spry © Gepa

Ihre Bezeichnung lautet Conditioning Coach. Sind Sie „nur“ für die Fitness zuständig?
SPRY: Das ist nur ein Wort. Meine Aufgabe ist es, die Spieler in allen Bereichen besser zu machen. Fitness ist Teil des Ganzen. Aber im Fußball braucht man alles zur gleichen Zeit: Körper, Technik und Taktik.

Inwiefern sind Sie in die Aufstellungen involviert?
SPRY: Gar nicht. Teamauswahl und das Teamsystem sind dem Trainerteam mit Marcel Koller, Thomas Janeschitz und Klaus Lindenberger vorbehalten.

Taktik ist immer wieder ein heißes Thema . . .
SPRY: Ich habe bei Setubal in Portugal mit Jose Mourinho gearbeitet. Für ihn ist Taktik einfach. Mit dem Ball muss man Raum schaffen, ohne Ball den Raum eng machen. Es kommt viel mehr auf die Systeme an.

Österreich spielt in einem 4-2-3-1. Warum läuft es so gut?
SPRY: Wir machen alles im Kollektiv. Das Ziel ist es, den Ball sofort zurückzugewinnen, wenn wir ihn verlieren. Früher haben wir den Ball verloren und uns hinten hineingestellt. Dabei haben die Spieler ihre Energie verschwendet, weil sie sich bei Ballverlust 50 Meter zurückfallen ließen und dann bei Ballbesitz genau diese Länge wieder nach vorne rennen mussten. Das könnte nicht einmal Superman. Heute wollen wir den Gegner vom Tor fernhalten. Wenn wir den Ball im gegnerischen Strafraum gewinnen, müssen wir nicht zwei Mal 85 Meter zusätzlich laufen.

Warum bauen Sie im Training auf Innovatives wie den Kampftanz Capoeira?
SPRY: Weil ich es aus Südamerika gewohnt bin und dort solche Elemente den Erfolg ausmachen. In Europa ist alles athletikbasiert. Aber mit monotonem Laufen und der Kraftkammer hast du keinen Erfolg. Usain Bolt wäre bei unserem Training nach fünf Minuten verletzt. Bei ihm basiert alles auf kerzengerader Beschleunigung. Wenn er die Richtung ändert, hat er eine Verletzung. Im Fußball machen es aber die Richtungsänderungen aus. Laufen allein reicht nicht, wenn du nicht stoppen kannst. Rene Aufhauser hat 2008 den ganzen Tag durchlaufen können, aber er hat nicht stoppen und die Richtung ändern können. Messi, Ronaldo, Neymar oder Arnautovic sind in dieser Hinsicht Ausnahmetalente.

INTERVIEW: MICHAEL LORBER