Österreichische Politiker haben es gerade schwer. Wie Kindergartenpädagogen müssen sie von einem zum nächsten kreischenden Balg eilen, um die Schreihälse zu beruhigen. Zuerst drohten die Gastwirte an Gastritis zu vertrocknen, wenn sie weiter ohne Gäste sind, dann haben die Hoteliers geplärrt, die Friseure, Baumärkte, Kulturveranstalter und zuletzt die Sportfunktionäre. Alle haben die Windeln voll, wollen beruhigt werden. Die Politiker verteilen Zuckerl, doch das stillt nicht. Kaum sind die einen beruhigt, jammern andere: Warum dürfen die und wir nicht? Wieso reicht im Restaurant ein Meter Abstand, aber niemand darf ins Stadion? Was soll in einem Flugzeug anders sein als im Theatersaal? Orchester wollen wieder aufgeigen, Galerien vernissagieren und Visagisten Hornhäute schaben. Jeder hält sich für systemrelevant und will möglichst unbeschadet durch die Krise. Die Politik muss darauf achten, dass die Entmündigten nichts anstellen, sonst gibt es Flecken und Chaos: Superspreader, ein neues Ischgl und die zweite Welle.

Unter Dampf

Die Volksvertreter sagen von sich selbst vollmundig, dass sie seit Wochen unter Hochdruck arbeiten. Alle stehen unter Dampf. Aber vielleicht kommt den aufgeheizten Gemütern das mit dem Hochdruck nur so vor, weil sie Maske tragen? Böse Zungen behaupten, die mangelnde Sauerstoffzufuhr hindere am Denken, und so sehen die dilettantischen Verordnungen auch aus. Aber das ist gemein und überspitzt. Tatsächlich sind alle erhitzt und es gibt plötzlich acht Millionen Corona-Experten, vormalige Teamchefs, die jetzt alles besser wissen. Öffnung oder Pandemie? Aufsperren, Einsperren oder nur Plärren? Die Regierung hängt im Spagat über einem Abgrund, der beharrlich auseinander klafft. Die niedrigen Fallzahlen sprechen für Öffnung, Statistiken aus Ländern wie Brasilien klar dagegen. Die Menschen wollen Planungssicherheit und die manchmal planlos wirkenden Staatenführer müssen erklären, dass es die nicht gibt.

Die Krise zeigt, was Österreich wichtig ist: Schnitzel, Bier, Baumärkte, Gartencenter, Festspiele, Grenzen-Schließen. Kultur und sportliche Ertüchtigung gehören eher nicht dazu. So ist es unverständlich, dass in Schulen Sportunterricht untersagt ist, die Bundesliga aber ab Juni ihre verbliebenen 63 Spiele austragen darf. Für einen Fußballfan ist das eine Frohbotschaft. Endlich. Es geht wieder weiter mit der Meisterschaft. Wie war eigentlich der Stand? Leider hat die Sache einen Haken: Kein Publikum! Geisterspiele! Und auch die nur, wenn Abstandsregeln, Handhygiene und Maskenpflicht beachtet werden. Der Mannschaftsarzt wird der wichtigste Mann am Feld, Spieler müssen Gesundheitstagebücher führen, in denen Körpertemperaturen verzeichnet sind. Ins Stadion dürfen maximal 200 Personen, Presseleute. Fanansammlungen sind verboten, Schiedsrichter werden Fieberthermometer statt Pfeiferl haben und Meisterschaftsfeier wird es keine geben. Ist das Fußball? Kann man da nicht gleich alles in die Playstation verlegen? Wozu das Geistertreiben? Um den Vereinen finanzielle Dellen zu ersparen! Es geht um Fernsehgelder, ums Überleben. Wobei die Situation Gelegenheit böte, das aus dem Ruder gelaufene Gehaltsgefüge wieder auf realitätsbezogenen Kurs zu bringen, aber die Diskussion darüber spart man sich.

Wo bleibt die Stimmung?

Für die Fans ist der Liganeustart eine Verheißung. Oder doch nur eine falsche Versprechung? Sind Geisterspiele eine Lösung? Wo nehmen die all die Geister her? Manche sagen, beim österreichischen Hundskick spiele das eh keine Rolle, und Mannschaften wie die Admira hätten nie mehr Publikum. Aber das ist nicht wahr. Erstens hat sich das Niveau gesteigert, zweitens gehen seit der medialen Oberhoheit von Bezahlsendern wieder mehr Menschen ins Stadion. Und jetzt? Leere Tribünen? Die Matches werden an Begegnungen aus dem Juniorenbereich erinnern, wo man die ruralen Rufe der Trainer hört und Berührungen wie Geräusche aus einer Tischlerwerkstatt klingen. Fußball lebt von Stimmung, von Tausenden, die sich Kehlen heiser schreien und darauf konzentriert sind, dass das Runde ins Eckige geht. Fußball ist Religion, Familienersatz, die zweitwichtigste Sache der Welt. Ist er Ihnen abgegangen? Aber Geisterspiele? Ich fürchte, es wird sein wie mit einem idyllischen Urlaubsort, an dem man seine Kindheit verbracht hat, und der nun, Dekaden später, völlig devastiert ist. Eine Ernüchterung.

Vielleicht kann man Pappfiguren auf die Ränge setzen und das Stadion beschallen? „You‘ll never walk alone“, der Donauwalzer oder Ana hat immer das Bummerl, auch Fangesänge wären denkbar. Vielleicht werden die Spiele unterhaltsam, wenn man Radiomoderatoren zur Untermalung nimmt. Wahrscheinlich aber sind sie wie ein Grillabend, bei dem es kein Fleisch gibt.

Selbst Maskottchen haben Stadionverbot

Zwar werden die Spieler unmaskiert sein, und die Abseitsregel wird durch keine Abstandsregel ersetzt, aber Torjubel, Umarmen und Ballküssen wird es nicht spielen. Ausspucken und Bauernschnäuzen werden mit Roten Karten bestraft, neben der Outlinie werden Desinfektionsspender stehen und wer dem Schiedsrichter mit seinen Aerosolen zu nahe kommt, kann sich brausen gehen. Kein pyrotechnisches Spektakel und keine Beleidigungen von den Rängen. Selbst Maskottchen haben Stadionverbot. Eine Liveübertragung vom Friedhof ist aufregender? Vielleicht. Aber es ist ein erster Schritt Richtung Normalität, nur ein kleiner für die Menschheit, aber ein großer für die Klubkassiere. Wenn ein Spieler positiv getestet wird, muss nur er und nicht die ganze Mannschaft in Quarantäne. Klingt vernünftig. Aber was, wenn virusbedingt das halbe Team ausfällt? Werden dann alle Wettbewerbsverzerrung schreien? Interessiert sich wirklich wer dafür, wie die Meisterschaft ausgeht? Ist das heuer nicht ein bisschen lächerlich?

Fußballfieber kann ansteckend sein. Bei Geistermeistern aber stellt sich die Frage, ob die prickelnde Atmosphäre nicht ein schaler Hansel ist, und man mit ganz anderem angesteckt wird? Gut, die aktuellen Zahlen lassen hoffen, dass die Liga heil über die Runden kommt. Das Problem ist das Geschrei der anderen. Wenn Fußball geht, warum nicht auch Handball, Volleyball, Basketball und Kegeln? Was im Sport möglich ist, muss erst recht in der Kultur gehen. Also alles aufsperren? Kinos, Theater, Tanzsäle, Discos, Swingerklubs … Und dann?

Ich bin ein großer Fußballaficionado, aber meine Freude über Geisterspiele ist verhalten. Es geht nur ums Geld. Vielleicht werden diese Spiele medial so toll aufbereitet, dass sie eine Zukunft für den Fußball zeigen. Wenn sie aber so sind, wie man sie kennt, nämlich eine universelle Ausbreitung von Nichts, dann sind sie kein Urknall, sondern schwarze Löcher, eine Katastrophe – nicht nur für den Fußball und seine Fans, auch für die Politik.