Die Piloten der Fluggesellschaft Air France wollen während der Fußball-Europameisterschaft in Frankreich streiken. Die drei Pilotengewerkschaften riefen am Donnerstag zu einem Streik vom 11. bis 14. Juni auf, wie die größte Pilotenvereinigung SNPL mitteilte - der Streik soll damit einen Tag nach Start der Fußball-EM beginnen.

Europa bereitet sich auf einen Höhepunkt des Ballsports in Frankreich vor. Frankreich präsentiert sich wenige Tage vor Beginn der Fußball-Europameisterschaft als ein Land am Rande des Bürgerkriegs. Polizei und Demonstranten liefern sich erbitterte Straßenkämpfe.

Beobachter sind sich uneins darüber, ob es das letzte Aufbäumen einer Randgruppe extremer Linker ist, die "die Politik der französischen Regierung aus der Bahn geworfen" hat, wie es Publizist Franz-Olivier Giesbert in einer deutschen TV-Dokumentation formuliert, oder ob hier eine neue Massenbewegung nach dem Muster von Podemos in Spanien entsteht.

Reform per Dekret

Die Regierung will das Arbeitsrecht verschärfen, den starken Kündigungsschutz in Frankreich zurücknehmen, doch sie fand im Parlament keine Mehrheit, die Regierung verabschiedete die Reform per Dekret. Auch bürgerliche Medien sprachen vom "Spiel mit dem Feuer" und einer "Holzhammermethode".

Den Unternehmern soll deutlich in der Frage von befristeten Verträgen entgegengekommen werden. Der Kern des Vorhabens ist aber, viele Entscheidungen in die Betriebe zu verschieben. Und darüber wird praktisch die gesetzlich vorgeschriebene 35-Stunden-Woche ausgehebelt.

Offiziell wird zwar daran festgehalten, aber gehofft wird, dass die einzelnen Belegschaften in den Betrieben weniger Widerstandskraft haben. Und dort können die Arbeitszeiten dann "flexibel" bis auf 48 Stunden pro Woche ausgeweitet werden, käme die Reform wie geplant durch. Der Arbeitstag kann dann täglich 12 Stunden umfassen. Über einfachere Kündigungen und geringere Abfindungen soll den Unternehmern die Angst genommen werden, neue Beschäftigte einzustellen.

Mit dem Rücken zur Wand

Die Gewerkschaften reagierten militant. Nach Ansicht von Giesbert auch deshalb, weil sie stark geschwächt sind und mit dem Rücken zur Wand stehen. Seit drei Monaten machen sie gegen die Reform mobil. Beinhaltet ein Arbeitskampf zu 100 Prozent an Staat oder Parlament gerichtete Forderungen, könnte er als "rein politischer Streik" eingestuft und für illegal erklärt werden. Daher ist der Streikgrund meist ein Mix aus unternehmensbezogenen und "politischen" Forderungen.

"Die Aufrechten der Nacht"

Und dann gibt es da noch die jungen Leute, die "Aufrechten der Nacht", "Nuit Debout". In mehr als 200 französischen Städten gibt es sie inzwischen. Inspiriert von Occupy Wall Street und den Protesten insbesondere der Bevölkerung in Spanien 2011/2012 gegen den Finanzkapitalismus ("Empört Euch!") besetzen sie Nacht für Nacht öffentliche Plätze, um sich auszutauschen. Wie bei Occupy gibt es keine Sprecher, keinen Anführer. Die Menschen gründen keine Partei und erheben keine Forderungen. "Sie sind auf der Suche nach politischen Ideen, suchen eine verbindende Aktivität, und die finden sie in dieser Art von Bewegung", so schildert es Aktivist Issa Saffa gegenüber "titel - thesen - temperamente", einer Sendereihe der ARD.

Wenige Tage vor Beginn der EM will die größte Gewerkschaft, die CGT, den Druck auf die Regierung noch einmal erhöhen. In 16 von 19 Atomkraftwerken stimmten die Beschäftigten heute für zeitweilige Arbeitsniederlegungen. Raffinerien und Tankstellen werden blockiert, ein Transportchaos droht. Gestreikt wird nicht nur gegen die Arbeitsmarktreform, sondern auch gegen Arbeitszeitregelungen bei den Staatsunternehmen.

Transportchaos während EM

Eisenbahn und Nahverkehr stehen schon jetzt immer wieder still. Ab morgen wollten die Fluglotsen streiken, vier von fünf Gewerkschaften haben den Aufruf aber wieder zurückgenommen. Dafür steht ab dem Tag nach Beginn der EM ein Pilotenstreik ins Haus. Vier Tage nach Beginn der EM soll eine Großkundgebung in Paris stattfinden - der 14. Juni wurde als "nationaler Aktionstag" ausgerufen.  Übrigens jener Tag, an dem Österreich mit dem Spiel gegen Ungarn aktiv in die EM startet.

Viele Franzosen sehen Parallelen zu ähnlichen Maßnahmen in Spanien. In Spanien ist jedoch nicht eingetreten, dass billigere Abfindungen und ein praktisch abgeschaffter Kündigungsschutz unbefristete Arbeitsplätze geschaffen hätten. Nur etwa acht Prozent der Arbeitsverträge werden in Spanien noch unbefristet geschlossen. Die Zahl der Unterbeschäftigten hat sich in Spanien nach den diversen Arbeitsmarktreformen, denn zuvor hatten auch schon die Sozialisten die Axt angesetzt, seit 2008 praktisch auf mehr als 1,5 Millionen fast verdoppelt. Das hat die europäische Statistikbehörde Eurostat gerade festgestellt

Billig-Arbeitskräfte

Schon vier Millionen Beschäftigte haben Teilzeitverträge. Davon waren drei Millionen zudem noch zeitlich befristet. Dazu kommt, dass etwa ein Viertel dieser befristeten Verträge auf höchstens eine Woche limitiert ist.  Stammbelegschaften können billig und einfach gekündigt werden. Deren Stellen werden dann durch prekäre Beschäftigte ersetzt. 

Und genau das ist es, was Gewerkschaften in Frankreich vor Augen haben, wenn sie nun seit Tagen zum Sturm gegen die Arbeitsmarktreform laufen.

Lichtblick in Spanien

Einziger Lichtblick in Spanien: Die Arbeitslosigkeit im Mai ist erstmals seit August 2010 unter die Vier-Millionen-Marke gefallen, teilte das Arbeitsministerium in Madrid am Donnerstag mit. Grund sind vor allem die Schaffung neuer Stellen in der Baubranche und im Dienstleistungssektor. 

Für die konservative Regierung von Ministerpräsident Mariano Rajoy, der sich Ende Juni in der Parlamentswahl den Wählern stellen muss, bedeutet der jüngste Rückgang  einen Erfolg. Zur Zeit von Rajoys Amtsübernahme Ende 2011 lag die Arbeitslosenquote bei 22,6 Prozent und erreichte Anfang 2013 sogar 26,9 Prozent.  Von der Arbeitslosigkeit wurde besonders die junge Generation getroffen, Hunderttausende wanderten daher aus. Vergangenes Jahr wuchs die Wirtschaft aber wieder um 3,2 Prozent.