Selbst das ungarische Bollwerk konnte Österreichs Sensationslauf bei der EM nicht beenden. Anstatt an der wuchtigen Abwehr zu zerschellen, wie es Island tat, behielt das Team von Aleš Pajovič bis zur letzten Sekunde die Ruhe und gewann 30:29. Das Team baute wieder auf sein Herz, den Charakter und das System des Slowenen und es war der Kapitän, der diese Sensation vollendete. Mykola Bilyk sorgte für den ersten Treffer in einem holprigen Start und den letzten in einer hitzigen Schlussphase – dazwischen ließ er es noch sechs Mal krachen.

Der Weg zum Erfolg führte wieder über die viel gepredigte Abwehr. Selbst Bence Bánhidi – ein „Ungetüm“ von einem Kreisspieler – konnte seine Urgewalt von 120 Kilogramm nicht entfalten. „Die Abwehr ist so gut wie das Selbstvertrauen der Mannschaft“, sagte Pajovič. Das Lächeln war unter seinem Rauschebart nicht zu übersehen. Auch, weil Constantin Möstl in der zweiten Hälfte im Tor, den Ungarn immer wieder die Nerven zog. Mit dem Sieg bleibt Österreich auch im vierten EM-Spiel ungeschlagen. Ein Märchen.

Zwei Ausfälle

Dabei war der Trainer durchaus „mit Sorgen in das Spiel“ gegangen. Mit Moritz Mittendorfer und Janko Božović waren zwei Spieler krank. Lukas Hutecek musste bis kurz vor dem Spiel am linken Bein von den Therapeuten bearbeitet werden, wusste selbst zu Mittag nicht, ob er spielen kann. Doch er tat es und ging wieder in den tiefroten Bereich seines Belastungslevels. „Es hat sich besser angefühlt, als ich dachte“, sagt der Regisseur und sorge im Zusammenspiel mit Bilyk für Ideen gegen die massive Abwehr.

Der Lemgo-Legionär (sechs Tore) spulte in der Kölner Halle 4,5 Kilometer ab. „Natürlich ist es intensiv, aber eine EM in Deutschland ist das größte Turnier, das du spielen kannst. Da geht man auch über Grenzen.“ Das Abwehrzentrum der Ungarn stand stabil und in ihm wirkte auch Österreichs gewaltiger Kreis Tobias Wagner mit seinen 1,98 Meter nicht gerade wie ein Riese. „Wir sind gerade auf einer Welle und spielen einfach gerne Handball“, sagte der gebürtige Wiener. „Wir spielen am Samstag gegen Deutschland ums Halbfinale. Da wird sich zeigen, ob wir wirklich eine Topmannschaft sind.“

Immer wieder Überzahl

Immer wieder spielte Pajovič seine Lieblingskarte aus, nahm den Keeper vom Feld und sorgte so für eine Überzahl (7 gegen 6) im Angriff. Lange lief Österreich einem knappen Rückstand hinterher, in der 43. Minute sorgte Wagner für die erstmalige Führung. Die aufopferungsvolle Arbeit und der Kraftakt der Österreicher manifestiert sich auch in den Zahlen. Mit Robert Weber (58:55 min/4649 m), Hutecek (57:53/4573), Bilyk (55:30/4419), Sebastian Frimmel (53:17/4325) und Lukas Herburger (47:45/3452) waren fünf Österreicher länger auf dem Feld als der fleißigste Ungar Bóka Bendegúz (45:29/3909).

„Das hätte auch anders ausgehen können“, sagte Hutecek, „wir haben gebraucht, bis wir ins Spiel gefunden haben, machten aber wenig Fehler. Wir schweben irgendwie und man sieht auch, wie viel Spaß wir auch außerhalb des Feldes hatten.“ Waren die Fans in Köln gegen die Ungarn noch für die Österreicher, werden sie sich am Samstag in einem ausverkauften Hexenkessel mit 20.000 Zusehern gegen den Gastgeber über ihre Grenzen gehen müssen.