Ist Österreichs Teilnahme an einem europäischen Raketenabwehrsystem, das 17 Länder im Rahmen der Nato
WALTER OBWEXER: Es hängt davon ab, wie die Teilnahme ausgestaltet ist. Zunächst zielt die European Sky Shield Initiative (ESSI) auf die gemeinsame Beschaffung von Luft- und Raketenabwehrsystemen, gemeinsame Schulungen und Übungen, die gemeinsame Wartung, den Informationsaustausch ab. Das ist neutralitätsrechtlich kein Problem. Sollten sich die betroffenen Staaten im Zuge der ESSI dazu verpflichten, sich im Fall eines Angriffs gegenseitig beizustehen, müsste Österreich sein Verfassungsgesetz zur Neutralität ändern. Denn die Initiative läuft nicht in der EU, sondern außerhalb.

Das ist ja gar nicht vorgesehen, denn eine Beistandsklausel haben bereits Nato und EU.
Ja, denn sonst hätten wir es mit einem Militärbündnis zu tun, das im Angriffsfall die Verpflichtung beinhaltet, sich gegenseitig zu unterstützen. Das muss Österreich ausschließen.

Die Schlüsselfrage ist allerdings eine völlig andere: Wer gibt den Befehl zum Abschuss?
Wenn ein solches Abwehrsystem auf österreichischem Boden stationiert wird, müsste Österreich selbst den Befehl geben. Beim European Sky Shield wird allerdings daran gedacht, dass das System dem Nato-Oberbefehlshaber, der für Luftverteidigung der Allianz verantwortlich ist, unterstellt werden könnte. Da kann Österreich nicht mit, denn dann trifft die Entscheidung der Nato-Oberbefehlshaber in Brüssel, nicht Österreich.

Das heißt, von den 18 Ländern hätten 17 Länder ein gemeinsames Kommando, nur Österreich hätte ein eigenes?
Ja, das müsste so sein.

Österreich will europäischem Raketenabwehrsystem beitreten
Österreich will europäischem Raketenabwehrsystem beitreten © KLZ
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Sky Shield - Österreich plant Beitritt

Das ist doch absurd. Wenn der Iran eine ballistische Rakete, Russland eine Hyperschallrakete abfeuert, kann doch Österreich nicht den Alleingang wagen.
Ich bin kein Militärexperte. Es mag durchaus sein, dass es besser wäre, das Kommando auszulagern. Das geht aber nicht.

Sollte Österreich doch den Wunsch äußern, das Kommando an jemanden auszulagern, der den kompletten Überblick über den europäischen Luftraum hat: Was müsste man tun?
Da müsste das Bundesverfassungsgesetz zur Neutralität geändert werden. Wir hätten dann Stützpunkte auf heimischem Boden, deren Befehl anderen obliegt. Das widerspricht jedoch einem der drei Kernelemente der Neutralität.

Wenn eine Rakete Wien ansteuert, müsste man diese doch bereits in der Slowakei abfangen. Wenn München angeflogen wird, müssen die Österreicher aktiv werden. Die Raketen halten sich an keine Staatsgrenzen.
Ich bin kein Militärexperte, das erscheint nicht unlogisch zu sein. Es wird unterschieden zwischen Raketen mit einer kurzen, einer mittleren, einer großen Reichweite. Da gibt es unterschiedliche Erfordernisse.

Wie kann Österreich seine Neutralitätsbestimmungen ändern?
Österreich müsste entweder einen eigenen Artikel schaffen oder das Bundesverfassungsgesetz zur Neutralität ändern.

Der führende Verfassungsrechtler Walter Obwexer
Der führende Verfassungsrechtler Walter Obwexer © APA/HANS PUNZ

Was müsste da drinnen stehen?
Salopp formuliert, dass im Fall der gemeinsamen Luftraumüberwachung und -verteidigung die in Österreich stationierten Abwehrsysteme auch einem Oberbefehl in Brüssel übertragen werden dürfen. Das müsste verfassungsrechtlich geregelt werden.

Wäre das nicht eine weitere Aushöhlung der Neutralität?
Es wäre eine weitere Einschränkung der Neutralität. In jedem Fall wäre es eine Beschränkung eines der Kernelemente der Neutralität: keine Teilnahme an Kriegen, keine Stützpunkte im Land und die Bündnisfreiheit. Die Stützpunktfreiheit würde limitiert werden, wenn österreichische Patriot-Raketen einem anderen Befehl unterliegen. Daran wird in Österreich derzeit ohnehin nicht gedacht.

Dass Österreich ein eigenes Kommando schafft, ist absurd, wo doch die USA oder die Nato mit Satelliten entscheidend zum Funktionieren des Systems beitragen.
Alle Staaten, die nicht neutral sind, wollen den Oberbefehl denn auch an Brüssel übertragen. Aus meiner Sicht wäre es für die Neutralen denkbar, eine Regelung im Rahmen der Initiative zu schaffen, die Österreichs Neutralität nicht zusätzlich einschränkt. Das Kommando muss, und das ist entscheidend, aber in Österreich bleiben.

Sollte Österreich den Befehl abgeben, wäre es eine Zäsur?
Ja, denn bisher hat Österreich seine Neutralität schrittweise innerhalb der EU eingeschränkt. Österreich ist innerhalb der EU solidarisch, außerhalb neutral. Bei einer Einschränkung im Rahmen der ESSI bräuchte es eine verfassungsrechtliche Bestimmung. Aus meiner Sicht ist dieser Schritt nicht notwendig, wenn man den Schritt nicht gehen will. Die jetzige Initiative ist mit der heute geltenden Neutralität kompatibel.