Gut ist g'gangen, nix ist g'schehen. Das scheint bisher Österreichs Militärdoktrin gewesen zu sein. Steht nun auch Österreich – zeitverzögert – vor einer echten Zeitenwende?

Tatsächlich waren wir seit 1945 keinen ernsthaften Bedrohungen ausgesetzt. Das Gleichgewicht des Schreckens sorgte mehr als 40 Jahre für einen kalten Frieden in Europa, von dem Österreich an der Nahtstelle zwischen Ost und West profitiert hat. 1956 und 1968, als Sowjetpanzer Aufstände in unserer unmittelbaren Nachbarschaft niederwalzten, blieben wir von Kampfhandlungen verschont. 1991 fuhr das Bundesheer an unserer Südgrenze zu Slowenien Panzer auf, mehr als eine MiG der jugoslawischen Luftwaffe, die sich nach Graz verirrte, gab es damals nicht zu vermelden. Vor eineinhalb Jahren überfiel Russland die Ukraine. Nicht, dass wir gleich wie Finnland und Schweden der Nato beitreten müssen: In Österreich erklärte der Kanzler stattdessen die Neutralitätsdebatte für beendet – aus der simplen Angst heraus, dass die Freiheitlichen die ÖVP in der Frage vor sich hertreiben könnten.

So gesehen ist es ein Meilenstein, wenn der Kanzler und die Verteidigungsministerin – offenkundig im Einvernehmen mit den Grünen und hoffentlich auch nach Rücksprache mit dem Bundespräsidenten – nun verkünden, dass Österreich der European Sky Shield Initiative (ESSI) beitreten will. Am Freitag will die Verteidigungsministerin bei einem Treffen mit ihren deutschsprachigen Amtskollegen eine Absichtserklärung unterzeichnen.

Der Krieg in der Ukraine führt uns nahezu täglich vor Augen, wie verwundbar Europa aus der Luft ist. In Analogie zu Israel, wo der Iron Dome nahezu alle Raketen aus Gaza vom Himmel holt, will auch Europa einen Schutzschirm über den Kontinent spannen. Deutschland hat im letzten Herbst die Initiative ergriffen, 17 Länder, allesamt Mitglieder der Nato, wollen das Projekt realisieren – freilich innerhalb der Allianz.

Warum innerhalb der Nato, liegt auf der Hand. Um ballistische Raketen aus dem Iran, allenfalls russische Hyperschallraketen abzufangen, bedarf es eines engmaschigen Satellitensystems. Davon kann die EU nur träumen, dafür gibt es die USA. Darüber hinaus haben die 31 Nato-Staaten ihre Luftverteidigung gebündelt. So ist es nur logisch, dass das Raketenabwehrsystem beim Nato-Oberbefehlshaber angesiedelt wird. Warum eine neue Struktur schaffen, wenn es eine bewährte bereits gibt?

Das bringt freilich die Österreicher in die Bredouille, denn eine Übertragung der Befehlsgewalt über österreichische Luftabwehrraketen an ein externes Kommando erfordert, so der Verfassungsrechtler Walter Obwexer im Interview, eine verfassungsrechtliche Änderung der Neutralitätsbestimmungen. Die Neutralität bliebe bestehen, würde aber weiter ausgehöhlt werden. 

Dass 17 Staaten die Befehlsgewalt einem Kommando, das den kompletten Überblick über alle Gefährdungslagen besitzt, übertragen, Österreich den Alleingang probt, ist reichlich absurd. Noch dazu hätte Österreich wahrscheinlich großes Interesse, wenn etwa ein Marschflugkörper aus der Tiefe des Ostens bereits in der Slowakei oder in Ungarn vom Himmel geholt wird. Und was passiert, wenn eine Drohne Österreich überfliegt und auf München zusteuert? Schauen wir zu, weil wir ja neutral sind?

Die Neutralität scheint sich so tief in der Psyche der Österreicher festgesetzt zu haben, dass eine Gesprächspartnerin gestern meinte: "Spielen wir wieder Krieg?" Blickt man auf Europas Vergangenheit, erkennt man, dass der Friede in Europa nicht gottgegeben ist. Was die Zukunft bringt, weiß niemand. Der ewige Friede bleibt eine Utopie. Dafür ist der Mensch – leider – nicht geschaffen. 

Einen friedlichen Dienstag wünscht 
Ihr