Ohne Gegenmaßnahme schnellen die Richtwertmieten am 1. April um 8,6 Prozent in die Höhe. Werden sich ÖVP und Grüne noch einig?
MAGNUS BRUNNER: Es wird momentan auf Parlamentsebene verhandelt. Ob es diese Einigung auf parlamentarischer Ebene gibt, kann ich nicht noch nicht sagen. Mir ist wichtig zu betonen, dass es um Richtwertmieten geht. Es betrifft hauptsächlich die Wiener Innenstadt, den Wiener Gürtel. Für den Rest Österreichs spielt das nicht so eine Rolle.

Auch in Graz gibt es Altbauwohnungen …
Ja, aber mir ist wichtig, dass wir beim Thema Wohnen nicht die Mieten alleine diskutieren. Daher müssen wir uns auch das Thema Eigentum anschauen. Deshalb fordern wir seit Monaten, beim ersten Eigenheim die Grunderwerbssteuer zu streichen, damit für junge Menschen der Eigentumserwerb wieder attraktiver wird.

Bei den betroffenen Wohnungen gibt es einen Stichtag, beim Eigentum nicht.
Das stimmt und wir wären schon fertig, wenn man dieses Eigentumsthema auch mitnehmen könnte. Man muss auch sehen, was die Regierung zur Entlastung der Menschen und insbesondere der Einkommensschwachen alles an Maßnahmen gesetzt hat. 

Welchen Schaden hat jemand, der eine Wohnung oder ein Haus außerhalb Wiens kauft, wenn jetzt die Mieten in Wien nicht sprunghaft steigen?
Keinen. Aber das Thema muss insgesamt größer diskutiert werden. Das war unser Zugang. Übrigens sind die Preise bei der Schaffung von Eigenheim seit 2020 um über 20 Prozent gestiegen, also deutlich stärker als Richtwertmieten. Auch Kreditnehmer spüren die Teuerung.

Mieterhöhungen treiben auch die Inflation voran. Ist das nicht eine Schraube, um die Inflation besser einzufangen?
Es ist ein Teil – die Inflationsthematik ist viel breiter. Das Wifo spricht bei den Richtwertmieten von 0,1 Prozent Senkung der Inflation, wenn die Mieterhöhung nicht auf einmal weitergegeben wird. Das sind keine größeren Schritte. Die Inflation treiben andere Faktoren. Die Haushaltsenergie, da haben wir gegengesteuert. Sehr inflationstreibend sind laut Experten aber zum Beispiel die hohen Lohnerhöhungen. Da sind wir weit über dem europäischen Schnitt.

Wifo-Chef Gabriel Felbermayr mit Finanzminister Magnus Brunner
Wifo-Chef Gabriel Felbermayr mit Finanzminister Magnus Brunner © (c) APA/HANS KLAUS TECHT (HANS KLAUS TECHT)

Was der ÖGB dazu sagt, ist aber erwartbar.
Was sagt er denn?

Er verlangt für die Arbeitnehmer in der Elektro- und Elektronikindustrie 12,9 Prozent mehr Lohn.
Es ist gute Tradition, dass die Sache zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern verhandelt wird. Sind hohe Lohnabschlüsse inflationstreibend? Experten meinen ja: ja.

In anderen EU-Staaten wie in Spanien ist die Inflation aber deutlich niedriger.
Dort sind die Warenkörbe anders und unser Wirtschaftswachstum ist viel höher als in anderen Ländern. Dazu kommt, dass der Wohlstand in Österreich wesentlich höher ist als in Spanien. Anderswo haben die Inflation und der Wohlstandsverlust voll eingeschlagen, wir haben mehr kompensiert. In Spanien ist zwar die Inflation niedriger, aber auch der Wohlstand ist dort gesunken.

Auch in Österreich sagen viele, sie kommen nicht mehr über die Runden. Gefühlt ist der Wohlstandsverlust da.

Gefühlt, ja – das verstehe ich. Der internationale Vergleich relativiert das aber ein wenig. OECD-Studien sagen klar, dass wir seit Anfang 2022 beim realen Haushaltseinkommen einen Zuwachs hatten, einen größten in Europa. Im oft zitierten Spanien hingegen sind die realen Einkommen um über sechs Prozent eingebrochen und in Frankreich ebenfalls um fast zwei Prozent. In Haushalten mit niedrigem Einkommen wurde laut Budgetdienst des Parlaments mit unseren Entlastungsmaßnahmen zum Teil sogar überkompensiert. 

Rechnet Wifo-Chef Felbermayr das nicht völlig anders vor?
Ich habe OECD – also international vergleichbare Zahlen – herangezogen. Es gibt nicht die eine wahre Zahl für alle Entwicklungen der Inflation. Ich schätze Professor Felbermayr sehr für seine Expertise und werde das Thema mit ihm beim nächsten Treffen besprechen.

Gibt es ein falsches Anspruchsdenken?
Ja, das Anspruchsdenken an den Staat ist zu groß geworden, vielleicht hat daran auch die Politik eine Mitschuld. Das müssen wir zurückfahren. Der Staat kann nicht alle Krisen dieser Welt zu hundert Prozent kompensieren.

Wenn nicht mit maßvollen Lohnrunden zu rechnen ist, was kann die Politik noch in die Waagschale werfen?
Wir mischen uns nicht in Angelegenheiten der Sozialpartner ein. Unsere Signale waren klar, mit der Steuerfreistellung von Prämien oder der Abschaffung der kalten Progression, durch die von jeder Lohnerhöhung mehr bleibt. Wir sehen im europäischen Vergleich, dass wir extrem intensiv geholfen haben. Das zeigen uns auch die Zahlen. Es wird auf europäischer Ebene sogar kritisiert, wir hätten zu viel getan, jetzt müssen wir die Maßnahmen auch mal wirken lassen.

Mittelfristig bekommen wir ein Budgetproblem, wie wollen Sie das einfangen?
Wir müssen den Budgetpfad wieder in Ordnung bringen und Budgets nachhaltig gestalten – auch auf europäischer Ebene. Also: Anspruchsdenken zurückfahren. Das gilt auch für meine Kollegen und Kolleginnen in der Regierung. In Zukunft müssen sie innerhalb der verschiedenen Ressorts Schwerpunkte setzen. Es muss nicht alles auf einmal gemacht werden, jeder muss Prioritäten setzen. Das wird eine Herausforderung für die nächsten Budgetverhandlungen, die im Sommer starten. Aber wir brauchen wieder Spielräume für etwaige künftige Krisen.

Brunner mit seinem ersten Budget als Finanzminister. Fürs nächste kündigt er harte Verhandlungen an. Auch seine Regierungskollegen müssten "das Anspruchsdenken zurückschrauben"
Brunner mit seinem ersten Budget als Finanzminister. Fürs nächste kündigt er harte Verhandlungen an. Auch seine Regierungskollegen müssten "das Anspruchsdenken zurückschrauben" © (c) APA/HELMUT FOHRINGER (HELMUT FOHRINGER)

"Prioritätensetzung" heißt, dass es definitiv weniger Geld gibt?
Das hängt stark vom Wirtschaftswachstum und der Kaufkraft ab, denn das hängt ja unmittelbar zusammen. Jetzt wird oft gesagt, die Einnahmen sprudeln – aber die Ausgaben sprudeln leider noch mehr. Die höheren Einnahmen haben wir als Unterstützungsmaßnahmen unter die Unternehmen, Menschen und Haushalte gebracht.

Wo ist Sparpotenzial in dieser Republik?
Ich glaube, dass wir die Effizienz steigern können. Das bringen wir im Rahmen des Finanzausgleichs als Bund ein. Die Systeme sind effizienter zu gestalten und wir müssen auch das Transparenzthema angehen, um zu sehen, wo Förderungen wie vergeben werden, von welcher Ebene. Manche Länder sind da schon relativ weit, andere – Kärnten und Burgenland etwa – fehlen noch bei der Transparenzdatenbank.

Stellen Sie für die Finanzausgleichsverhandlungen Ruten ins Fenster?
Immer nur mehr Geld zu fordern, ist keine Verhandlungsposition. Man kann über alles reden, aber dann muss man auch darüber reden, wie Aufgaben neu konstruiert werden, denn der Bund hat in den letzten Monaten und Jahren extrem viel über die eigenen Kompetenzen hinweg gemacht. Wir haben etwa für die Krankenhäuser zusätzlich noch einen Ausgleich für die Länder geschaffen, wo wir nicht zuständig gewesen wären.

Könnte auch für Energiewende-Themen weniger Geld fließen? In manchen Fördertöpfen ist derzeit viel übrig, weil so viele Projekte gar nicht so schnell auf den Boden zu bekommen sind.
Nein. Der Klimaschutz und die Energiewende sind so eine wichtige Zukunftsfrage, dass wir hier Schwerpunkte gesetzt haben.

Themenwechsel: Die OMV-Verträge mit der Gazprom sind ein heißes Eisen …
Die Republik hat keine Verträge mit der Gazprom. Das wird in der Öffentlichkeit gern vermischt. Wie die Verträge im Detail gestaltet sind, weiß ich nicht. Ich sitze nicht im Management der OMV oder im Aufsichtsrat. Ich habe keine Möglichkeit, auf diese Verträge zuzugreifen, ich darf sie gar nicht sehen, das wäre aktienrechtlich auch ein Wahnsinn.

Leonore Gewessler meint, als Eigentümervertreter müssten Sie über die Öbag einen Weg finden, sich ein Bild zu verschaffen.
Die Verträge liegen wohl bei der E-Control auf, wie ich Medien entnehme. Die ist eine unabhängige Behörde, für die definitiv nicht der Finanzminister zuständig ist. Aber auch Ministerin Gewessler kann da nicht einfach eingreifen. Wir sind mit knapp 30 Prozent an der OMV beteiligt, nicht mit über 50 Prozent.

Die Regierung hat angekündigt, bis 2027 soll Österreich kein Gas aus Russland mehr beziehen. Ist die ÖVP von dem Vorhaben abgerückt?
Zuerst brauchen wir Alternativen für diese Mengen und auch Pipelinekapazitäten. Die Abhängigkeit zu reduzieren, darüber sind wir uns alle einig.

Deutsche Unternehmen haben die Gazprom geklagt. Für den Fall, dass die OMV auch ein Schiedsgericht bemühen wird, hätte das wohl Konsequenzen für die Gaslieferungen. Wären Sie darauf vorbereitet?
Dazu müssen Sie die OMV fragen. Es wird sicher intensiv überlegt, wie man mit dieser Frage umgeht.

Wie oft haben Sie die Grüne-Abgeordnete Nina Tomaselli eigentlich schon im Flieger von Wien nach Vorarlberg getroffen?
Mehrfach, aber ich habe sie auch schon im Zug getroffen. Jeder muss selbst entscheiden, wie er reist.

Die Bundes-ÖVP wirft Tomaselli "Doppelmoral" vor. Sehen Sie die auch?
Ich mische mich nicht ein in die Reisetätigkeiten der Kollegin.