Es ist ein schwerer Verdacht, den die Opposition hegt: Über Jahre hinweg könnten Teile der Justiz Korruptionsermittlungen an die Reichen und Mächtigen des Landes verraten haben. Statt Ermittelnde zu schützen, soll das "System Pilnacek" Staatsanwälte der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) unter Beschuss genommen haben.

Namensgebend ist Christian Pilnacek, suspendierter Chef der Strafrechtssektion und einst mächtigster Beamter des Ministeriums. Pilnacek bestritt stets, unrecht gehandelt zu haben. Am morgigen Dienstag kann er seine Sicht der Dinge vor dem ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss darlegen.

Zu erwarten ist aber, dass weder Pilnacek noch der Leiter der Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien, Johann Fuchs, besonders gesprächig sind. Denn gegen beide ermittelt die Staatsanwaltschaft Innsbruck unter anderem wegen des Verdachts des Geheimnisverrats, sie werden sich daher zu vielen Themen entschlagen dürfen.

Vom Eurofighter in die Observation

Besonders im Fokus steht einmal mehr der seit Jahren schwelende Kampf mit der WKStA. Mit dem Spruch "Setzts euch z'samm und daschlogts es" hatte Pilnacek 2019 etwa empfohlen, die Ermittlungen in der Causa Eurofighter zu beenden – aus verfahrensökonomischen Gründen, betont der suspendierte Sektionschef seitdem. Eine entsprechende Anzeige der WKStA gegen ihren Vorgesetzten wurde von der Oberstaatsanwaltschaft Linz prompt zurückgelegt. Aus Sicht der Leiterin der WKStA, Ilse-Maria Vrabl-Sanda, nahm der Konflikt zwischen ihrer Behörde und dem Sektionschef hier ihren Anfang.

Wie lange und tief er schwelte, sollte erst viel später bekannt werden. Denn Pilnacek verdächtigte die Korruptionsjäger, Informationen zu laufenden Ermittlungen an die Öffentlichkeit zu spielen. Obwohl Indizien in eine andere Richtung wiesen, wollte er gegen die Staatsanwälte ermitteln lassen: "Ich stelle mir Observation vor", schrieb Pilnacek im Sommer 2019 an Fuchs. Einer Kabinettsmitarbeiterin des Justizministeriums gegenüber schrieb er, man müsse "Accounts der WKStA sichern".

Eingesetzt, um kein Maulwurf zu sein

Dazu dürfte es nicht gekommen sein, dafür wurde eine andere Lösung gefunden: Linda Poppenwimmer gab im U-Ausschuss zwar an, "weder Maulwurf, Spitzel noch trojanisches Pferd" zu sein, wurde aber als Folge der Dienstbesprechung in der WKStA eingesetzt. In einer "sehr einzigartigen Aktion" wurde sie von Fuchs dem Eurofighter-Team zugewiesen, ohne WKStA-Leiterin Vrabl-Sanda einzubinden, erzählte diese im ÖVP-U-Ausschuss.

Bei den Korruptionsjägern beobachtete Poppenwimmer laut eigenen Angaben ebenfalls Leaks, über die sie aber eher Fuchs als Vrabl-Sanda informierte – teils mit abfotografierten Unterlagen ihrer Kolleginnen und Kollegen. Eine Anzeige brachte sie aber nicht ein. Die Juristin zählt zwar immer noch zum Personalstand der Korruptionsjäger, ist aber karenziert und arbeitet bei der Kanzlei Ainedter, die etwa mehrere Beschuldigte aus dem inneren Kreis von Sebastian Kurz vertritt.

"Schwachstellen" in der Justiz

Der Konflikt mit der WKStA ist allerdings nur ein Teil des von der Opposition kritisierten Systems. Pilnacek wurde als Spitze der Weisungskette jahrelang über Fälle im öffentlichen Interesse informiert. Durch ausufernde Berichtspflichten konnte er ebenso wie Fuchs Ermittlungen verzögern, durch Weisungen auch beenden. Die Opposition ortete schon im "Ibiza"-U-Ausschuss oft nicht nachvollziehbare Verfahrensschritte.

"Schwachstellen" in der Justiz, "wo wir uns selbst der Gefahr aussetzen, korrumpiert zu werden", müsse man mit allen Mitteln bekämpfen, sagte der Präsident des Oberlandesgerichts Innsbruck, Klaus Schröder, im Februar. Als Beispiel nannte er das "System Pilnacek", das von einer externen Untersuchung unter die Lupe genommen werden müsse.

Grüne Sorge und schwarzes Bollwerk

Für die grüne Justizministerin Alma Zadić ist das eine Herausforderung. Dass sich Pilnacek als Sektionschef nicht mit Beschuldigten treffen könne, verbat sie per Weisung rasch nach ihrem Amtsantritt. Mit seiner Suspendierung ließ sie sich länger Zeit. Warum, zeigt die Causa Fuchs: Obwohl der Leiter der OStA Wien sich bald vor Gericht verantworten muss, wurde seine Suspendierung vom Obersten Gerichtshof (OGH) aufgehoben.

Gleichzeitig droht die grüne Ministerin, dem Koalitionspartner auf die Füße zu treten: Als hoher Beamter im lange schwarz regierten Justizministerium wird Pilnacek der Volkspartei zugerechnet. Im aktuellen U-Ausschuss ist die ÖVP bemüht zu zeigen, dass womöglich unsaubere Handlungen des Sektionschefs keine parteipolitischen Hintergründe haben.

Im türkisen Jahresbericht 2021 wird ein anderer Ton angeschlagen: Pilnacek und Fuchs seien "das einzige Bollwerk gegen die linksradikale Kampftruppe der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft", schreibt dort der Blogger Andreas Unterberger als Gastautor.