Gerade eben noch haben wir den 24-Stunden-Betreuerinnen die Familienbeihilfe gekürzt. Was übrigens dazu führte, dass nicht wenige von ihnen inzwischen in die benachbarte Schweiz abgewandert sind, denn dort wird ihre Tätigkeit besser bezahlt. Händeringend werden derzeit nicht nur inländische Pflege- sondern auch ausländische Hilfskräfte gesucht.

Dann kam die Pandemie, und ganz viele Betreuerinnen blieben in der Folge unfreiwillig daheim, mussten gegen allerlei Bürokratie kämpfen, im Bemühen, als selbständig Versicherte dieselben Härtefonds-Zahlungen zu erhalten wie andere Unternehmen in Österreich. Plötzlich wurde aber allen bewusst, auf welch tönernden Füßen das österreichische Pflege- und Betreuungssystem steht.

Gleichzeitig ist die Frage der Ressourcen - zu wenig Geld für zu viel Bedarf - seit Jahren ein Dauerbrenner im finanziellen Tauziehen zwischen den Gebietskörperschaften. Und seit Jahren wird es auf den Finanzausgleich geschoben und das Thema letztendlich vertagt.

Jetzt verdichtet sich die Diskussion, und es ist wichtig eine klare Sprache zu sprechen.

Ohne Geld ka Musi

Wenn Gesundheitsminister Rudolf Anschober die Pflegereform ausgerufen und sein Nachfolger Wolfgang Mückstein den Ball aufgenommen hat, so muss allen Beteiligten klar sein: Ändern sich die Finanzen nicht, gibt es keine Reform. Wenn nicht mehr Geld ins System fließt, können es noch so wohlorganisierte "Community Nurses" sein, die ihre Aufgabe als Drehscheibe in den Wohnbezirken aufnehmen: Sie haben dann keine Leistungen zu verteilen.

Betreuung zuweilen unteilbar

Wenn Arbeits- und Sozialrechtler Wolfgang Mazal für die 24-Stunden-Betreuung in der arbeitsteiligen Organisation die Lösung sieht, bei der einander viele Betreuungspersonen die Hälfte des Tages über die Klinke in die Hand geben, so muss er wissen: Da geht bei älteren Menschen, die für bestimmte Tätigkeiten oder zu bestimmten Zeiten des Tages Hilfe brauchen, sei es das Verbinden (Pflege), sei es das Essen auf Rädern (Versorgung), sei es das Einkaufen oder die Unterhaltung. Die betreuungspflichtige Person zwischendurch immer wieder alleine zu lassen funktioniert aber nicht bei Demenzkranken, bei Schwerstbehinderten oder bei bettlägerigen Menschen.

Als Ausweg bleibt nur das Heim

Wenn Betroffene konfrontiert sind mit der Forderung, die ausländischen Betreuungskräfte anstellen zu müssen, weil dies nach arbeitsrechtlichen Gesichtspunkten tatsächlich geschehen müsste, wie man übrigens nicht erst seit dem jüngsten deutschen Gerichtsurteil, sondern schon seit einem österreichischen OGH-Entscheid 2011, also seit vielen Jahren weiß, dann wissen sie jedenfalls, dass sie sich das nicht leisten können und fallen in ein tiefes Loch. Einem pflege- oder hilfsbedürftigen Menschen, dem die 24-Stunden-Betreuung abhanden kommt, bleibt als Ausweg nur das Heim (von allen Möglichkeiten übrigens die teuerste Variante).

Fair ist nicht gleich fair

Wenn sich wohlmeinende Nicht-Betroffene, wie aktuell Amnesty International, für "faire Arbeitsbedingungen" einsetzen, dann müssen sie wissen: Fair ist nicht überall fair. Die fast 70.000 Betreuungskräfte aus dem Ausland nehmen sehr gern die überlangen Arbeitszeiten in Kauf, weil sie im Ausgleich dafür nach zwei drei oder vier Wochen Dienst dieselbe Zeit durchgehend zu Hause verbringen dürfen.

Viele haben zu Hause Mann und Kinder, und der Job in Österreich ist die einzig mögliche Verdienstquelle. Ja, die Gehälter müssen angehoben werden. Ja, es ist darauf zu achten, dass sie angemessene Pausen machen dürfen. Ja, es gibt unzumutbare Klienten, gegen die sich eine Betreuerin auch wehren können muss, um nicht selbst vor die Hunde zu gehen. Aber der "nine-to-five"-Durchschnittsjob wird eine 24-Stunden-Betreuung nie sein.

Betreuung für wen?

Wenn sich einige der insgesamt 900 (!) "Betreuungsagenturen" in Österreich dagegen auflehnen, dass jetzt nicht sie, sondern die Pflegekräfte selbst für sich sprechen sollen und wollen, müssen sie lernen, dass "Betreuung" nicht nur Abzocke bedeuten kann, und auch nicht nur "Betreuung" der Klienten, sondern auch Fürsorge für die vermittelten Arbeitskräfte: dass es eben funktioniert mit Pausen, mit Hilfe bei Belastungsgrenzen, mit Organisation von Transport jenseits der unzumutbaren Taxidienste, die schon etliche Betreuerinnen in den Tod geführt haben.

Viele reden, aber nicht mit allen

Wenn Delegierte jener Betreuungsagenturen, die in Bezug darauf einen guten Job gemacht haben, nicht eingeladen werden zu den Gesprächen auf höchster Ebene, weil sie immer wieder auch auf Missstände aufmerksam machen und damit "lästig" sind, dann müssen sich die Reformer auf dieser höchsten Ebene fragen lassen, um sie die Bemühungen um eine echte Reform selbst ernst genug nehmen.

90.000 Pflege- und Betreuungskräfte fehlen bis zum Jahr 2030. Den Bedarf der immer älter und betreuungsbedürftiger werdenden Bevölkerung zu decken, ist eine Herkulesaufgabe. Viele Interessen, ein Ziel: Es wollen und sollen möglichst lange möglichst viele Menschen zu Hause leben.

Anschober hat seine Reformbemühungen mit einer "Zuhör-Tour" begonnen. An Mückstein liegt es jetzt, tatsächlich alle Stakeholder auch dann an den Tisch zu bitten, wenn es ans Eingemachte geht. Und der Berechnung des Bedarfs ist ohne Wenn und Aber eine Summe gegenüberzustellen, mit der dieser Bedarf finanziert werden kann. Koste es, was es wolle.