Wann immer Donald Trump zu mitternächtlicher Stunde unserer Zeit vor die Öffentlichkeit tritt, um eine weitere abstruse Corona-Therapie zu empfehlen oder den nahen Sieg über die Pandemie zu verkünden, weicht ein hagerer, älterer Herr nicht von seiner Seite. Seit 1984 ist der 79-jährige Anthony Fauci Chefvirologe der USA, fünf Präsidenten hat der Aids-Pionier bereits gedient. Dass er vom erratischen Präsidenten noch nicht gefeuert wurde, grenzt an ein Wunder.

Einen anderen Weg geht die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Einen Virologen sieht man bei Presseauftritten selten an ihrer Seite. Dafür unterrichtet der Chef der obersten Seuchenbehörde, Lothar Wieler, die Öffentlichkeit täglich über den Stand der Dinge. Im Gegenzug haben sich die deutschen Talkshows zum Catwalk der Virologen entwickelt: Kein Abend, an dem nicht einer von ihnen, Alexander Kekulé, Hendrik Streeck, Melanie Brinkmann, Jonas Schmidt-Chanasit, darüber fachsimpelt, wie wenig man über das Virus weiß. Unangefochtener Star ist Christian Drosten, der Posterboy der deutschen Virologie. Doch der Glanz bröckelt, Merkel soll über Drostens Zickzackkurs bei der Infektionsgefahr von Kindern verärgert sein, unter Beschuss ist auch Wieler vom Robert-Koch-Institut wegen seiner Fehleinschätzung von Ischgl geraten.

Bis 2017 hatte Österreich mit Pamela Rendi-Wagner eine Chefepidemiologin, die nach Ausbruch jeder Seuche, egal ob Zika, Mers, Ebola, in der ZiB 2 saß. Um ihr das Rückkehrrecht nach dem Umstieg in die Politik zu vermasseln, schaffte FPÖ-Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein die Stelle ab. In Österreich kommuniziert nahezu ausschließlich die Politik, die Virologen agieren im Hintergrund. „Wir haben uns in der Regierung für den Weg entschieden“, entgegnet Gesundheitsminister Rudolf Anschober im Gespräch allen Kritikern, die mehr Transparenz einfordern oder das Gefühl haben, eine besonders verschworene Virologen-Truppe lenke die Geschicke des Landes aus dem Verborgenen. Die auf 17 Experten angewachsene Liste der multidisziplinären Corona-Taskforce steht seit März auf der Homepage des Gesundheitsministeriums und umfasst so bekannte Experten wie den Rektor der Wiener Med-Uni Markus Müller, die Virologin Elisabeth Puchhammer, den Infektionsexperten Heinz Burgmann oder den Innsbrucker Internisten Günter Weiss.

"Es lief noch nie so professionell ab"

Ich saß schon in vielen Expertengremien, noch nie lief es so professionell ab“, erklärt der Tropenmediziner Herwig Kollaritsch. Zweimal wöchentlich wird per Videokonferenz beraten. „Es ergeben sich immer offene Diskussionen ausgehend von konkreten Fragen, die Anschober aufwirft.“ Ähnlich tönt Rot-Kreuz-Rettungskommandant Gerry Foitik: „Da sitzen Wissenschaftler zusammen, die den permanenten Diskurs gewohnt sind. Das Problem ist oft die mangelnde Evidenz zu Covid-19.“ Ob sich die Expertenmeinungen in den politischen Beschlüssen wiederfinden? „Es wird nicht alles eins zu eins umgesetzt. Wir leben nicht in einer Expertokratie, sondern in einer Demokratie.“ Eine Schlüsselrolle bei der Strategiefindung spielt der Simulationsexperte Niki Popper. Wie sich der jetzige Stufenplan auf den Infektionsverlauf auswirkt, vermag Popper nicht zu sagen. Entscheidender sei, dass man Infektionscluster, abhängig davon, wo sie auftauchen (Schule oder Altersheim), effektiv bekämpft.

Organisatorisch auf den Kopf gestellt wurde auch das Gesundheitsministerium, Anschober hat einen 100-köpfigen Krisenstab installiert. So kümmert sich der Chefveterinär des Hauses, Ulrich Herzog, um die logistische Beschaffung der Schutzausrüstung („leider steckt global viel Geschäftemacherei dahinter“), Ingrid Kiefer um das Bürgerservice: „Normal haben wir 200 Anrufe am Tag. Am Wochenende, wo die Maßnahmen verhängt worden sind, waren es 100.000.“ An der Kapazitätsgrenze sind die Chefjuristin Meinhild Hausreither und ihr Team angelangt: „Das Hauptproblem ist, dass der Tag nur 24 Stunden hat.“ In den letzten sechs Wochen mussten 50 Verordnungen und 20 Erlässe aus dem Boden gestampft werden. „Das ist normalerweise das Pensum von zwei Jahren.“

Anschober schnauft durch: „Ich bin seit vier Monaten Minister, gefühlt sind es vier Jahre.“ Nicht ohne Sorgen blickt er in die Zukunft. „Das Grundbedürfnis, dass es endlich vorbei ist, ist das größte Risiko. Ich hoffe, dass wir nicht noch einmal den Hammer auspacken müssen.“