Mit einer heftigen Debatte und den Stimmen der türkis-blauen Koalition hat die Reform der Mindestsicherung am Donnerstag den Nationalrat passiert. Das bereits über ein Jahr währende Ringen um die Einführung der erneuerten „Sozialhilfe“ ab 2020 ist damit aber noch lange nicht zu Ende.

Der nächste Schritt ist zunächst einmal bloß Formsache: Der Bundesrat wird das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz im Mai ebenfalls mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ durchwinken. Wenn das Gesetz dann (wohl noch vor Ende Mai) kundgemacht ist, geht der Kampf um seine Umsetzung auf zwei Ebenen weiter – einer politischen und einer rechtlichen.

Politisch haben die Bundesländer dann sechs Monate lang Zeit, neun eigene Ausführungsgesetze zu erlassen. Weil „Armenwesen“ eine Angelegenheit ist, in der die Bundespolitik nur grobe Richtlinien vorgeben darf, die die Länder im Detail ausgestalten müssen, verlagert sich der Konflikt um die Sozialhilfe damit in die Landtage.
Wie berichtet gibt das Grundsatzgesetz ja nur Höchstwerte für die Sozialhilfesätze vor, die Länder und Gemeinden auszahlen. Ob sie diesen Rahmen ausnutzen oder unterschreiten, können die Länder weitgehend frei entscheiden.

Umsetzen müssen sie die Reform aber: Beschlösse etwa Kärnten innerhalb der Sechsmonatsfrist kein Ausführungsgesetz, kann der Nationalrat (wo die türkis-blaue Koalition die Mehrheit hat) direkt ein Kärntner Sozialhilfegesetz formulieren, das die Kärntner Behörden anzuwenden hätten.

Sollte eines der Länder dagegen eine von der Bundesvorgabe abweichende Mindestsicherung beschließen – und etwa höhere Sätze als angedacht auszahlen, wären diese Gesetze verfassungswidrig, erklärt der Innsbrucker Föderalismusexperte Peter Bußjäger.

Rechtlich wird aber aller Wahrscheinlichkeit nach parallel zu dieser politischen Ebene ein eigenes Gefecht stattfinden: Jedes Bundesland kann eine Überprüfung des Grundsatzgesetzes beim Verfassungsgerichtshof erzwingen – und auch die SPÖ kann das mit ihrem Abgeordneten-Drittel im Bundesrat. Sowohl Wiens Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ) als auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner haben bereits angedeutet, diesen Weg beschreiten zu wollen: Dass es ab dem dritten Kind künftig nur noch 42 Euro im Monat zusätzlich gibt, sei etwa eine „unsachliche Schlechterstellung“, argumentiert Hacker. Ob der VfGH noch heuer entscheidet, hängt aber von vielen Faktoren ab – nicht auszuschließen ist, dass er erst 2020 beurteilt, ob die Sozialhilfe verfassungskonform ist, wenn die Länder bereits Gesetze erlassen haben. Sowohl Regierung als auch Opposition sehen sich mit Gutachten für eine Anfechtung gewappnet.

Im Nationalrat hat die Reform jedenfalls zur erwartet kontroversiellen Debatte geführt – nicht zuletzt unter dem Eindruck, dass die Statistik Austra gestern ihre aktuelle Armutsstatistik vorgelegt hat. 1,5 Millionen Menschen oder 17,5 Prozent der Bevölkerung in Österreich waren demnach 2018 armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. Diese Zahl hat sich in den letzen zehn Jahren um 187.000 Personen verringert.
Das größte Armutsrisiko haben Langzeitarbeitslose, Ausländer, kinderreiche Familien und Personen in Ein-Eltern-Haushalten – also in beide Richtungen von der Reform betroffene. Rendi-Wagner sah die Regierung „70.000 Kinder in ein chancenloses Leben“ schicken.
Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) verteidigte die Sozialhilfe dagegen als Modell, das „mehr Chancen, mehr Fairness und mehr Gerechtigkeit“ bringe.