"Die Welt steht nicht still.“ Mit diesen Worten fängt es an, das neue Parteiprogramm, von dem der SPÖ-Vorstand unter Christian Kern heute förmlich beschließen wird, es Anfang Oktober dem Bundesparteitag vorzulegen. Nehmen es die Delegierten dort erwartungsgemäß an, bekommt die zweitstärkste Partei der Republik nach 20 Jahren ein neues Grundsatzprogramm.

Und das sind 20 Jahre, in denen sich einiges getan hat. 1998, als das bisher gültige Programm beschlossen wurde, war Viktor Klima Kanzler und Parteichef; von epochalen Herausforderungen wie der alles durchdringenden Digitalisierung oder dem Klimawandel, heute in aller Munde, war noch wenig die Rede. Die Weltfinanzkrise, die zehn Jahre später allen vor Augen führen sollte, wie eng ein wild gewordenes globales Finanzsystem mit Arbeit und Alltag verknüpft ist, lag noch in weiter Zukunft. Und in Österreich, gerade der EU beigetreten, regierte die Sozialpartnerschaft mit angeschlossener rot-schwarzer Koalition.

Entsprechend stabil liest sich auch der erste Satz des Parteiprogramms von 1998: „Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind dem Ideal einer humanen, demokratischen und gerechten Gesellschaft verpflichtet.“

SPÖ-Gremien segnen neues Parteiprogramm ab

Wer beide Programme, das aktuell gültige von 1998 und den Entwurf des neuen, liest, merkt schnell, was sich geändert hat. Nein, konkrete Maßnahmen und Antworten sucht man da wie dort vergebens – zur Asylfrage etwa verweist der Entwurf auf internationales Recht und eine europäische Lösung –, aber das ist ja auch nicht Sinn eines Grundsatzprogrammes.

Nein, die Rede ist, wie in allen Parteiprogrammen, von Werten, von den ganz großen Entwicklungen und Fragestellungen. Und gerade da zeigt sich, dass die Autoren das ernst genommen haben, was der erste Satz verspricht: Viel ist die Rede davon, wie sich die Welt verändert hat. „Der Optimismus der 1970er ist einem anderen Zeitgeist gewichen“, steht da geschrieben, es sei ein Zeitalter gewaltiger Instabilitäten, einer „atemberaubenden technologischen Veränderung unserer Wirtschaft und Gesellschaft, einer rasant wachsenden Ungleichheit innerhalb der Nationalstaaten, von Klimaerhitzung und Umweltzerstörung“.
All diesen Entwicklungen versucht das neue Programm Rechnung zu tragen, die Position der Sozialdemokratie zu ihnen allen klarzustellen.

Das ist kein Bruch zum Programm von 1998, wohl aber eine Ausweitung: Nicht nur die klassischen sozialdemokratischen Themen – soziale Sicherheit, Arbeitswelt, Generationenvertrag – finden sich in dem Textvorschlag, gleichauf mit ihnen stehen etwa auch Themenblöcke wie Klima- und Umweltschutz – „die Pflicht zur Erhaltung des Planeten“ in Programmsprech –, Digitalisierung oder eine Erörterung der wachsenden Unterschiede zwischen Stadt und Land.

Ein gewaltiger Bogen, der Gefahr läuft, sich in vielen komplexen Themen zu verlaufen – im Vergleich zum klaren Fokus früherer Parteiprogramme.
Das sei die große Herausforderung auf dem jahrelangen Weg zu dem neuen Text gewesen, sagt Maria Maltschnig, Direktorin des Renner-Instituts (siehe Außenspalte rechts): „einprägsam in den Positionen zu bleiben und trotzdem der gestiegenen Komplexität der Welt gerecht zu werden“. Ob das Programm damit 20 Jahre hält, wird sich zeigen.