Kein Präsidentschaftswahlkampf in der Geschichte Österreichs hatte jemals mehr Fernsehpräsenz als der laufende: Seit Wochen prägen Duelle, Elefantenrunden, Einzelinterviews oder "Wahlfahrten" das Programm von ORF, ATV und Puls 4.Rund 200.000 Views verzeichneten die Bundesländerzeitungen mit dem Wahlkampffinale von Hofer und Van der Bellen in Graz, das hier nachzusehen ist.

Inzwischen mag das Publikum glauben, alles gehört und vor allem gesehen zu haben. Irrtum: Eine Woche vor der Stichwahl versucht ATV am Sonntagabend noch ein überraschendes Experiment. Ab 20.15 Uhr diskutieren Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer alleine im Studio – ohne Moderation.

45 Minuten ohne Werbung

Wie die Sendung im Wiener Marxpalast in etwa ablaufen wird, erklärt Alexander Millecker (43), der ATV-Informationschef: "Die Kandidaten sitzen im Dunkeln. Wenn das Licht angeht, haben sie 45 Minuten Zeit, zu diskutieren. Wer beginnt, worüber sie sprechen und in welchem Ton, obliegt den beiden ganz allein.“ Ganz einsam sind die Politiker natürlich nicht. Im Raum bleiben etwa zehn Personen, die sich um Kameras, Licht und Ton kümmern. Studiopublikum gibt es allerdings keines, ebenso wenig wie Werbeunterbrechungen.

ATV-Informationschef Alexander Millecker
ATV-Informationschef Alexander Millecker © ATV

Welche Erwartungen hat ATV von einer Sendung ohne Drehbuch – abgesehen natürlich von guten Quoten an einem Sonntag ohne neuer "Tatort"-Folge? Millecker prognostiziert: "Wir wagen ein Experiment – da kann vieles passieren. Lässt einer der beiden die Situation eskalieren, kann man annehmen, dass er offenbar nicht an einem konstruktiven Diskurs interessiert ist. Oder beide setzen auf die Kraft der Argumente und führen eine sachliche und zivilisierte Debatte. Für die Zuseherinnen und Zuseher ist beides ein Informationsgewinn."

Der Grund für die nächste Wahlsendung liegt auch in ihren vielen Vorläufern: "Der TV-Wahlkampf hat viele kreative Formatideen mit sich gebracht und nicht jede diente dem Informationsgewinn", richtet Millecker seine Kritik wohl in Richtung ORF und Puls 4 und ergänzt: "ATV verzichtet daher gänzlich auf dramaturgische Elemente und reduziert das Duell auf das Wesentliche: die inhaltliche Debatte."

Idee aus 1970

Eine Premiere im heimischen Fernsehen ist das unmoderierte Duell nicht: "Die erste TV-Konfrontation in österreichischen Fernsehen 1970 haben die Kanzlerkandidaten Josef Klaus und Bruno Kreisky – auf eigenen Wunsch – ebenfalls ohne durchgehende Moderation bestritten. Das hat uns inspiriert", erklärt Millecker. "Ein paar Spielregeln gab es damals allerdings: Die Kandidaten hatten abwechselnd vier Minuten Redezeit, zudem wurde das erste und das letzte Wort ausgelost. Auch darauf verzichten wir. Bei uns herrscht absolute Selbstregulation."

Das Duell am Sonntagabend bei ATV ist aber natürlich nicht das letzte große TV-Event für Hofer und Van der Bellen: ORF 2 zeigt am Dienstag um 20.15 Uhr (statt "Universum"!) "Die 2 im Porträt", worin etwa Hofers Mutter und Van der Bellens Sohn zu Wort kommen. Am Donnerstagabend folgt das letzte Duell – in ORF 2 und mit Moderation.

Hier noch einmal zum Nachsehen das große Duell auf Einladungen der Bundesländerzeitungen am vergangenen Freitag in Graz, das die Kleine Zeitung initiierte: