Die Covid-19-Sicherheitsmaßnahmen im Brüsseler Ratsgebäude sind noch einmal verschärft worden, dennoch könnte der eine oder andere der Staats- und Regierungschefs heute und morgen nicht dabei sein; Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki zum Beispiel hat sich nach einem Kontakt mit einem Covid-19-Infizierten in Quarantäne begeben. Ähnlich verhält es sich mit EU-Parlamentspräsident David Sassoli. Dabei beschäftigt sich der Gipfel gleich mit mehreren brennenden Themen, für die es kaum noch Zeitfenster gibt.

So läuft heute ein Ultimatum ab, das der britische Premier Boris Johnson der EU gestellt hat – bis heute hätte der Handelspakt für die Zeit nach 2021 fertig sein sollen, bei dem man aber von einer Einigung noch immer Lichtjahre entfernt ist. Johnson sagte, er werde bis Freitag, also bis nach dem Gipfel, mit weiteren Entscheidungen warten. Vor dem heutigen EU-Gipfel traf er auf Emmanuel Macron, gestern Abend telefonierte er mit Ursula von der Leyen und Charles Michel.

Klimaziele und aktuelle außenpolitische Themen sind weitere Punkte auf der Agenda. So wie zuletzt beim Sondergipfel vor zwei Wochen, ist die Pandemie nur ein Randthema auf der Liste – und könnte doch neuerlich zu einem der Hauptthemen werden.

Brexit: Ein Silberstreif am Horizont

Alles oder nichts: Zweieinhalb Monate vor dem finalen „Goodbye“ der Briten scheinen die Verhandlungen über die zukünftigen Beziehungen Großbritanniens mit der EU in einer Sackgasse gelandet zu sein, dennoch halten Chefverhandler Michel Barnier und viele Brüsseler Diplomaten einen Deal noch immer für möglich. Zumindest ein „Rumpfabkommen“, mehr geht sich beim besten Willen nicht aus. Drei Hauptfragen sind es, auf deren Lösung es nun ankommt: die Regelung der Fischereirechte, die fairen Wettbewerbsbedingungen und die Einigung auf Schiedsverfahren. Einen Hauch von Optimismus hört man in EU-Kreisen, weil erst dieser Tage Gespräche zwischen Großbritannien und Irland bzw. Frankreich in „guter Atmosphäre“ verlaufen seien. Wäre wenigstens ein Basisabkommen verhandelt, könnte man die ganzen anderen offenen Fragen (Sozialwesen, Datenaustausch, Polizeizusammenarbeit usw.) später ausarbeiten. Und so werden die EU-27 gleich zu Beginn des Gipfels beraten, wie man das Eisen in letzter Sekunde doch noch aus dem Feuer holen kann. Im Entwurf der Schlussfolgerungen wird aber auch Druck gemacht: Gefordert wird eine „Intensivierung der Gespräche“.

Umwelt: Beim Abendessen geht es ums Klima

Ursprünglich war der Plan, bis 2050 ganz Europa „klimaneutral“ zu bekommen, und als Zwischenschritt wurde eine Reduktion der Treibhausgasemissionen bis 2030 um 40 Prozent (gegenüber 1990) beschlossen. Mittlerweile hat EU-Kommissionspräsidentin das auf 55 Prozent angehoben und das EU-Parlament beschloss letzte Woche sogar 60 Prozent.

Beim Dinner heute Abend werden sich die Vertreter der Mitgliedsländer damit auseinandersetzen, ob das für alle akzeptabel ist und wo die Stolperfallen lauern – etwa, weil die Wirtschaft das in dieser kurzen Zeit nicht umsetzen kann oder einzelne Länder (wie Polen) den Umstieg auf umweltfreundliche Energien aus eigener Kraft nicht schaffen. Österreich ist besonders ambitioniert ans Thema herangegangen und will schon 2040, also zehn Jahre vor der Gesamt-EU, klimaneutral sein. In diesem Sinne hat man auch Gemeinsamkeiten in der Gruppe der „Frugalen“ (mit Schweden, Dänemark, Holland und mitunter auch Finnland) gefunden, allerdings ist das auch für den Industriestandort Österreich nicht leicht zu stemmen. Dazu kommt, dass das Erreichen von Klimazielen auch davon abhängt, wie die Nachbarländer agieren.

Außenpolitik: Ein weites Feld von Ankara bis Afrika

Nach dem außenpolitischen Sondergipfel vor zwei Wochen kommen die EU-Länder auch diesmal nicht um Außenbeziehungen herum. Auf der Agenda findet sich Afrika – die EU will dem Kontinent auf Augenhöhe und als Partner begegnen. Es ist ein eigener Afrikagipfel in Planung, daher wird man diesmal heikle Themen wie Migration eher ausklammern und sich aufs Aussenden freundlicher Signale beschränken. In anderen Fällen geht das nicht. Zwar war vorgesehen, dass diesmal bereits eine Entscheidung über Sanktionen gegen die Türkei fällt, ein Regierungsvertreter des Ratsvorsitzlandes Deutschland sagte gestern aber, er rechne bei diesem Gipfel noch nicht mit diesem Schritt.

Im „Fall Nawalny“ sind gestern vor allem auf Betreiben von Deutschland und Frankreich sechs Personen und eine Organisation aus Russland mit Sanktionen belegt worden, Moskau drohte prompt mit Gegenmaßnahmen. Nicht nur der weitere Umgang mit Russland wird morgen dann Gipfelthema sein, auch die weitere Strategie um Weißrussland (Belarus) und die Reaktion auf die Kampfhandlungen in Berg-Karabach kommen zur Sprache. Konkrete Entscheidungen oder Maßnahmen sind vom Gipfel aber eher nicht zu erwarten.

Covid-19: Wie die EU mit der Pandemie umgeht

Am Dienstag beschlossen die Europaminister ein EU-weites Ampelsystem, das aber kaum Verbesserung bei Reiseeinschränkungen und Covid-Maßnahmen über Grenzen hinweg bringt. Wie berichtet, enthielt sich Österreich deshalb der Stimme. Nun ist der Umgang mit der Pandemie als letzter Punkt der Tagesordnung für Freitag angesetzt, es wird aber erwartet, dass die Staats- und Regierungschefs angesichts der steigenden Zahlen beträchtlichen Diskussionsbedarf haben werden. Es sei eben extrem schwierig, in ganz Europa einerseits die Reise- und Wirtschaftsfreiheit aufrechtzuerhalten und gleichzeitig einschneidende Covid-Maßnahmen zu setzen, so ein Beamter. Gestern Abend tauchten dann plötzlich Vermutungen auf, die Corona-Debatte könnte aufgrund der Dringlichkeit und Wichtigkeit des Themas doch heute schon auf den Beginn des Gipfels verlegt werden.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen soll morgen den Gipfelteilnehmern einen Überblick über die gemeinsame Beschaffung von Impfstoffen geben. Die Kommission hat bisher Verträge mit den Herstellern Astra-Zeneca und Sanofi-GSK geschlossen, zuletzt kam ein Vertrag mit Johnson & Johnson über die mögliche Lieferung von Impfstoff für 200 Millionen Menschen dazu. Vorgesehen ist zudem die Option auf Impfstoff für weitere 200 Millionen Personen. Weitere Gespräche gibt es mit den Firmen Curevac, Biontech-Pfizer und Moderna.