Ratspräsident Charles Michel hat für Donnerstag einen EU-Sondergipfel einberufen, um endlich Schwung in die Budgetverhandlungen zu bringen, und seine Ankündigung muss man ernst nehmen: nämlich, dass der Gipfel so lange dauern werde, bis ein brauchbares Ergebnis auf dem Tisch liegt – „wenn es sein muss drei Tage und drei Nächte“. Das Papier, das Michel am Freitag präsentiert hat (es orientiert sich am ungeliebten Kompromissvorschlag der finnischen Ratspräsidentschaft) stieß bei manchen auf Wohlwollen – für Sebastian Kurz ein „Schritt in die richtige Richtung“. Es geht um den Finanzrahmen der EU für die Jahre 2021 bis 2027, man ist bereits weit hinter Plan. Kommt es nicht rasch zu einer Einigung, könnte zwar der gegenwärtige Plan per Notverordnung fortgeschrieben werden, aber EU-Programme wie Erasmus oder Horizon (Wissenschaft) würden auslaufen und alle tollen Zukunftsvisionen, von der Klimaneutralität bis zum Schutz der Außengrenzen, könnten nur stark verzögert starten.

Dabei liegen die Positionen der EU-Institutionen noch weit auseinander. Der Finanzrahmen (MFR) definiert sich als Prozentsatz der gesamten EU-Wirtschaftsleistung, bisher knapp über einem Prozent. Mit dem Argument, dass durch den Brexit jährlich zwischen 10 und 14 Milliarden Euro im Säckel fehlen und all die neuen Ziele zusätzliche Mittel erfordern, plädiert das EU-Parlament für eine Erhöhung auf 1,3 Prozent. Die Kommission, vertreten durch Kommissar Johannes Hahn, hat den Rechenstift angesetzt und 1,114 Prozent auf den Wunschzettel geschrieben.

Immer noch zuviel, finden andere (etwa die FPÖ), und wollen höchstens ein Prozent zulassen. Bisher vertrat diese Haltung eine Gruppe von „Nettozahlern“ mit Österreich, Dänemark, Schweden und den Niederlanden, mit Abstrichen auch Deutschland. Den Begriff „Nettozahler“ gibt es in der offiziellen Diktion nicht; gemeint sind Mitgliedsländer, die einen höheren Beitrag leisten, als in Form von Förderungen wieder zurückfließt. Nicht berücksichtigt ist dabei aber der tatsächliche Nutzen aus der EU, etwa über den Binnenmarkt, der ein Vielfaches des Beitrags ausmacht. Nun fordert etwa EVP-Chef Manfred Weber den Begriff „Nettozahler“ nicht länger zu verwenden, weil er einen falschen Eindruck vermittle.

Die größten „Nettoempfänger“ sind nach dieser Rechnung ausgerechnet jene Länder, die wegen der rechtsstaatlichen Entwicklung als Sorgenkinder der EU gelten: Ungarn war 2018, gemessen an der Wirtschaftsleistung, der größte Nettoempfänger aus dem EU-Budget. 4,11 Prozent des ungarischen Bruttonationaleinkommens stammten aus dem EU-Haushalt. In absoluten Zahlen profitierte Polen am meisten mit 12,3 Milliarden Euro, dahinter lagen Ungarn (5,2 Milliarden Euro) und Griechenland (3,5 Milliarden Euro). Österreichs Nettobeitrag stieg 2018 auf 1,3 Milliarden Euro.

Die Länder im Osten sind somit sehr daran interessiert, dass die EU nicht den Sparstift ansetzt. Das bekam zuletzt auch Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) zu hören, die in den Mitgliedsländern versuchte, Österreichs Position zu erklären. Länder wie Polen und Ungarn – gegen beide läuft ein Rechtsstaatlichkeitsverfahren – sind auch in einem zweiten wichtigen Punkt auf Gegenkurs: Im neuen MFR soll die Rechtsstaatlichkeit verankert werden. Einfach gesagt: Hält sich ein Mitgliedsland nicht an die Grundregeln der Demokratie und Menschenrechte, soll es in Zukunft möglich sein, den Geldhahn abzudrehen.

Viel Konfliktstoff also. Dabei hat Österreich zuletzt überraschend signalisiert, doch vom strikten Ein-Prozent-Dogma abzurücken. Edtstadler und Kurz sprachen von einem „Verhandlungsspielraum von 1,0 bis 1,11 Prozent“. Das Zahlenwerk ist aber ohnedies so komplex, dass es viel Raum für Interpretationen gibt. Zu befürchten ist, dass im Falle eines „Sparbudgets“ die Mittel für Kohäsion und beim größten Brocken Landwirtschaft gekürzt werden – in diesem Fall würde Österreich mit eigenem Geld Ersatz leisten müssen. Michel hat in seinem Vorschlag den Schlüssel wieder zugunsten der Bauern verändert; Kritiker mahnen, dass letzten Endes die Zukunftspolitiken auf der Strecke blieben. Selbst bei Frontex und Migration, zentrale Punkte, will Michel Milliardenkürzungen.

An den Ländern scheiterten bisher auch die Ambitionen, die EU mit Eigenmitteln zu versorgen, etwa über eine Digital- oder Plastiksteuer. Parlaments-Vizepräsident Othmar Karas (ÖVP), der argumentiert, dass jeder Euro eine Investition in die Zukunft sei und vielfach zurückkomme, schlug vor wenigen Tagen eine „EU-Anleihe“ vor. Die Kommission soll mit Europäischer Investitionsbank (EIB) und Zentralbank (EZB) zweckgebundene Zukunftsanleihen als neues Element der Finanzierung auflegen. Alternativ sei auch ein Zukunftsfonds mit Crowdfunding denkbar. „Laut Analyse der Kommission fehlen allein 260 Milliarden Euro pro Jahr zur Erreichung der bestehenden Klimaschutzziele bis 2030. Im letzten Kompromissvorschlag des Rats sind zentrale Kürzungen enthalten, etwa minus 30 Prozent beim Forschungsförderungsprogramm Horizon Europe, minus 48 Prozent bei Erasmus plus, minus 36 Prozent bei Connecting Europe Facility (Verkehrsnetze)“, so Karas.

Für das EU-Parlament steht fest, dass die Mittel beinahe zur Gänze (der Verwaltungsanteil liegt bei unter sieben Prozent, der Rest fließt zurück) den Bürgern zugute kommen, und es will das auch in Zukunft so haben. Was immer also beim Sondergipfel herauskommt, EP-Präsident David Sassoli warnt die nationalen Regierungen: Das Parlament werde keiner Vereinbarung zustimmen, die Kürzungen bei wichtigen Programmen vorsieht, auf die die Europäer angewiesen sind. „Hier geht es nicht nur um abstrakte Zahlen; diese Zahlen haben konkrete Auswirkungen auf das Leben aller Europäer“, stellt Sassoli die Rute ins Fenster.