Der in Österreich lebende bulgarische Investigativjournalist Christo Grozev ist von Moskau zur Fahndung ausgeschrieben worden. "Ich bin gespannt, was mir vorgeworfen wird", sagte der Russland-Experte am Mittwoch gegenüber dem privaten bulgarischen Fernsehsender bTV. Österreich biete ihm Personenschutz an, was er akzeptieren werde, fügte er hinzu und gab an, auch die Niederlande, Litauen und Schweden hätten Hilfe angeboten. Von Österreich liegt noch keine Stellungnahme vor.

"Ausländische Regierungen haben mich kontaktiert, die bulgarische noch nicht", merkte Grozev an. Der 53-Jährige, der seit 2015 für die investigative Website "Bellingcat" arbeitet, wurde am Montag von Russland für gesucht erklärt. Im Juli hatte der Inlandsgeheimdienst der Russischen Föderation (FSB) mitgeteilt, dass Grozev an einer Operation der ukrainischen Geheimdienste beteiligt gewesen sei, die sich als Ziel gesetzt habe, russische Kampfflugzeuge zu entführen.

"25 GRU-Mitarbeiter reisten durch Europa"

Er habe einen Rechtsanwalt in Russland beauftragt, herauszufinden, warum er zur Fahndung ausgeschrieben worden sei, sagte Grozev am Mittwoch. Als Grund vermutet der Investigativjournalist seine bisherige Arbeit. Die Enthüllungen von "Bellingcat" in den vergangenen fünf bis sechs Jahren haben "eine ganze Abteilung des russischen Militärnachrichtendienstes GRU" ausgeschaltet, behauptete Grozev.

"Zehn Jahre lang sind etwa 25 GRU-Mitarbeiter durch Europa gereist und haben Menschen wie (den bulgarischen Geschäftsmann, Anm.) Emilian Gebrew und (den russischen Ex-Spion, Anm.) Sergej Skripal vergiftet, Lagerhallen in Tschechien, der Slowakei und Bulgarien in die Luft gejagt. Jetzt können sie das nicht mehr tun", sagte der Investigativjournalist.

Grozev war an bedeutenden "Bellingcat"-Recherchen beteiligt, durch die unter anderem die drei Angeklagten für den Giftmordanschlag gegen Sergej und Julia Skripal 2018 identifiziert wurden, sowie auch zwei russische Offiziere, die für den MH17-Abschuss 2014 verurteilt wurden, und GRU-Mitarbeiter, die hinter dem Umsturzversuch in Montenegro 2016 stehen.

Giftanschlag auf Alexej Nawalny

Grozev ist auch für die Enthüllungen im Fall des Giftanschlags auf Alexej Nawalny 2020 mitverantwortlich. Im November dieses Jahres sagte er des Weiteren in einem Interview mit dem öffentlich-rechtlichen Radiosender BNR, dass seine Recherchen für "Bellingcat" jene russischen Programmierer enttarnt haben, welche russische Raketen für Luftangriffe auf die Ukraine programmierten.

Zwei Tage nach der Fahndungsausschreibung von Grozev ist die einzige Reaktion der bulgarischen Regierung die Vorladung der russischen Botschafterin in Sofia, Eleonora Mitrofanova, ins Außenministerium. Das Treffen soll am Donnerstag stattfinden, dem ersten Werktag nach den Weihnachtsfeiertagen.

"Politisch motiviert"

Grozev kommentierte, dass er sich eine "angemessenere" Reaktion der bulgarischen Regierung gewünscht hätte. Generalstaatsanwalt Iwan Geschew bezeichnete auf Twitter die Fahndung nach einem Journalisten als "politisch motiviert" und als Menschenrechtsverletzung.

Auch Sicherheitsexperten und Diplomaten kritisierten in den ersten Reaktionen auf die Causa die Zurückhaltung des Übergangskabinetts in Sofia, das vom russlandnahen Präsidenten Rumen Radew eingesetzt wurde. Wegen der Pattsituation im Parlament steckt Bulgarien seit knapp zwei Jahren in einer politischen Dauerkrise und hat keine gewählte Regierung.