Massenmorde und unfassbare Verbrechen pflasterten seinen blutigen Weg. Über ein Vierteljahrhundert nach Ende des Bosnienkriegs (1992–1995) wird der betagte Ex-General Ratko Mladic heute noch einmal im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit stehen: Der Höchststrafe einer lebenslangen Haft wird der 78-jährige Ex-Kommandant der bosnisch-serbischen Streitkräfte kaum entrinnen können.
Mit einer halbstündigen Verzögerung wird die Urteilsverkündung im Berufungsverfahren aus dem mit Panzerglas gesicherten Sitzungssaal im früheren UN-Tribunal in Den Haag übertragen. Ob der ihm zur Last gelegte Völkermord an über 8000, bei systematischen Massenerschießungen hingerichteten Bosniaken in Srebrenica oder die blutige Belagerung von Sarajevo: Gewissensbisse hatte der jahrelang flüchtige und erst 2011 verhaftete Kriegsscherge während seines jahrelangen Prozesses nie offenbart.
Einen Freispruch fordert die Verteidigung des schon in erster Instanz 2017 zu lebenslänglicher Haft verurteilten Ex-Generals. Er habe nur seine „Pflicht getan“ und sein Land verteidigt, rechtfertigte Mladic während seines Prozesses die von seinen Truppen begangenen Untaten.
Vor allem für die Überlebenden und Angehörigen der Opfer sei der Prozess gegen Mladic von großer Bedeutung, sagt Chefankläger George Brammertz. Doch seine verspätete und überfällige Verurteilung dürfte das zerrissene Bosnien kaum versöhnen. Während die Familien seiner Opfer dem erwarteten Schuldspruch des „Schlächters von Srebrenica“ ungeduldig entgegenfiebern, wird Mladic von nationalistischen Anhängern in Bosnien und Serbien noch stets als Held verehrt – und verherrlicht.
"Boulevard Ratko Mladic"
Es war Serbiens heutiger Staatspräsident Aleksandar Vucic, der 2007 in Belgrad persönlich ein dem ermordeten Reformpremier Zoran Djindjic gewidmetes Straßennamenschild mit der Aufschrift „Boulevard Ratko Mladic“ überklebte. Inzwischen versichert er, die Kriegsopfer anderer Nationen zu respektieren. Nach der Verurteilung seines einstigen Idols in erster Instanz rief Vucic 2017 seine Landsleute dazu auf, „in die Zukunft zu blicken“ und „nicht in den Tränen der Vergangenheit zu ersticken“.
Untergetaucht
Lange hatte Serbien dem vom UN-Tribunal noch vor Ende des Bosnienkrieges angeklagten Kriegsverbrecher offen Schutz gewährt. Bis 2002 konnte sich Mladic in Belgrad relativ frei bewegen. Danach entzog sich der abgetauchte Justizflüchtling mithilfe der Sicherheitsdienste und eines verschwiegenen Helfernetzwerks jahrelang erfolgreich seinen Häschern. Erst 2011 wurde er im Dorf Lazarevo im Haus seines Cousins verhaftet: Seine von heftigen Protesten begleitete Auslieferung öffnete Serbien den lange blockierten Weg zur Eröffnung der Beitrittsverhandlungen mit der EU.
Doch noch immer weigert sich Serbien genauso wie die bosnische Teilrepublik Republika Srpska, den von den von Mladic kommandierten Truppen in Srebrenica begangenen Genozid anzuerkennen. 2015 wurde sogar ein Studentenheim im bosnischen Pale nach dem wegen des Völkermords von Srebrenica ebenfalls zu lebenslanger Haft verurteilten Serbenführer Radovan Karadzic benannt: Erst im vorigen Dezember wurde die Plakette mit dem Namen des rechtskräftig verurteilten Kriegsverbrechers auf Druck der internationalen Gemeinschaft wieder abmontiert.
Fahrig und patzig
Bei seinen Auftritten vor dem EU-Tribunal machte der einst so selbstbewusst und herrisch auftretende Ex-General Mladic einen oft fahrigen und patzigen Eindruck. Vergeblich mühten sich seine Verteidiger und seine Familie in den vergangenen Jahren, mit Verweis auf seinen schlechten Gesundheitszustand seine vorläufige Freilassung aus der Untersuchungshaft zu erwirken.
Unbekannt ist noch, in welchem Gefängnis und Land Mladic nach seiner erwarteten Verurteilung seine Strafe verbüßen und den Rest seines Lebens fristen soll. Doch egal, wie schnell er in der Weltöffentlichkeit in Vergessenheit geraten wird, ein Platz in den Geschichtsbüchern ist Mladic gewiss – als einer der größten Massenmörder in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg.