Als Liliana Segre die Aula des Senats in Rom betrat, brandete Applaus auf. Die Auschwitz-Überlebende ist Senatorin auf Lebenszeit und war aus Mailand angereist, um Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte das Vertrauen auszusprechen. Eigentlich wollte die 90-Jährige erst nach ihrer Corona-Impfung wieder nach Rom kommen. „Aber angesichts dieser Situation habe ich einen starken Ruf und ein Pflichtgefühl verspürt“, sagte die alte Dame. In der kleineren Kammer ging es am Dienstagabend um das Überleben der von Conte geführten Linksregierung.

Dieses wurde dann auch gesichert. Conte konnte die Vertrauensabstimmung im Senat für sich entschieden und kann vorerst weiter regieren. 156 Senatoren stimmten für ihn und seine Koalition aus Fünf-Sterne-Bewegung, Sozialdemokraten und der linken Splitterpartei Leu, 140 dagegen. Neuwahlen in Italien sind damit erst einmal abgewendet. Das Ergebnis war möglich geworden, da einige Senatoren die Fronten gewechselt hatten und bei der entscheidenden Abstimmung mit dem Regierungslager stimmten.

Am Vortag hatte Conte auch im Abgeordnetenhaus die Vertrauensabstimmung für sich entschieden. Notwendig geworden waren die Abstimmungen, nachdem die Partei Italia viva von Ex-Premier Matteo Renzi in der Vorwoche ihre zwei Ministerinnen aus dem Kabinett abgezogen hatte. Als Grund für den Bruch hatte Renzi Contes angeblich undemokratisches Regieren per Dekret in der Pandemie und die Pläne zur Verteilung der EU-Hilfsgelder angegeben. „Ich versichere Ihnen, es ist sehr hart, unter diesen Bedingungen zu regieren, mit Leuten, die uns fortwährend Minen in den Weg legen und versuchen, die politische Balance zu untergraben“, erklärte der 56-Jährige Conte.

Erfolgreiche Suche nach Überläufern

Seit Tagen suchten Politiker des Regierungslagers nach Überläufern aus der Opposition. Im Visier hatte Conte abtrünnig gewordene Senatoren der Fünf Sterne, Mitglieder kleiner christdemokratischer Parteien, aber auch Forza Italia (FI) von Ex-Premier Silvio Berlusconi. Überraschenderweise stimmte am Dienstagabend die Senatorin Maria Rosaria Rossi für die Regierung. Die Forza-Italia-Politikerin galt früher als enge Vertraute Berlusconis. Auch Andrea Causin (FI) wechselte ins Regierungslager. Am Vortag war bereits die FI-Politikerin im Abgeordnetenhaus und ehemalige Gouverneurin der Region Latium, Renata Polverini, in das Regierungslager übergetreten. 

Für die Regierung stimmte auch der Ex-Kapitän der Küstenwache und Senator Gregorio De Falco, der 2018 für die Fünf Sterne in den Senat einzog, sich aber mit der Bewegung überwarf. Er war nach der Havarie der Costa Concordia vor der Insel Giglio 2012 kurzzeitig berühmt geworden, weil er Kapitän Francesco Schettino energisch zur Rückkehr auf das Schiff aufforderte. Nun bewahrte auch er Conte vorerst vor dem politischen Schiffbruch.

In Italien gilt wie in Österreich an sich Fraktionsdisziplin. Allerdings scheren Abgeordnete immer wieder dauerhaft aus den Parteien aus, denen sie ihren Sitz im Parlament verdanken. Auf diese Überläufer zielte Conte. In Rom war gar von einem „Kampf ums Zentrum“ die Rede. In dem politischen Lager, das seit dem Zusammenbruch der italienischen Christdemokratie 1992 von Berlusconi ausgefüllt wurde und nun wieder zu bröckeln beginnt, könnte sich Italiens politische Zukunft entscheiden. Offenbar liebäugelt Conte mit der Gründung einer Zentrumspartei. Auch sein Widersacher, Renzi versucht mit der Gründung von Italia viva bisher vergeblich, die Mitte zu besetzen.

Im Senat erreichten Conte und die Regierung mit 156 Stimmen nur die relative Mehrheit. Um Gesetze zu verabschieden, die eine absolute Mehrheit benötigen, etwa das Haushaltsgesetz, hätte die Regierung derzeit nicht genug Stimmen. Wie es in Rom hieß, sollen die Verhandlungen über Übertritte aus der Opposition ins Regierungslager nach dem erfolgreichen Votum jetzt erst so richtig beginnen.