Das Vier-Sterne-Hotel in der spanischen Urlaubsoase Playa del Inglés im Süden Gran Canarias ist voll. Bei angenehmen Temperaturen um die 20 Grad sitzen viele Zimmerbewohner auf den Balkonen und genießen die Sonne. Palmen wachsen rund um die weißen Hoteltürme. Ein idyllischer Anblick.

Doch das Hotel Waikiki, das rund einen Kilometer vom feinen Sandstrand entfernt liegt, beherbergt keine ausländischen Touristen, die dem kalten Winter in der Heimat entfliehen. Die Zimmer sind mit Flüchtlingen und Migranten belegt, die auf den Kanarischen Inseln nicht die Sonne, sondern die Hoffnung auf ein besseres Leben in Europa suchen.

8000 Boote allein im November

Allein im November kamen mehr als 8000 in wackeligen Booten übers Meer.So viele Bootsmigranten wurden noch nie in einem Monat auf den Kanaren registriert. Die Küstenwacht musste immer wieder Schiffbrüchige retten, deren seeuntüchtige Kähne auf der tagelangen Reise auseinanderbrachen.

Gran Canaria ist in den letzten Monaten zum neuen Migrationsbrennpunkt Europas geworden. Dies wurde vor allem im Hafen von Arguineguín im Inselsüden sichtbar, auf dem in den letzten Wochen chaotische Zustände herrschten. Die Helfer kamen mit der Versorgung der Ankommenden nicht mehr nach.

Soziale Spannungen

Zeitweise drängelten sich mehr als 2500 Bootsmigranten auf der Kaimauer. Schliefen dort sogar auf dem Boden. Inselpolitiker sprachen von einem „Lager der Schande“ und warfen der spanischen Regierung Untätigkeit vor. Die Bilder von Menschen, die hinter gelben Zäunen zusammengepfercht ausharrten, gingen um die Welt. Und sie waren nicht die beste Werbung für die Urlaubsinseln.

Dies wurde schließlich auch Spaniens sozialistischem Premier Pedro Sánchez klar: Er ordnete vor Kurzem die Räumung des Elendscamps an. Ein Teil der Migranten wurde mangels Alternativen aus dem Hafen in Hotels gebracht, die von der Regierung angemietet wurden. Viele Touristenherbergen stehen wegen der coronabedingten Tourismuskrise leer.

Kasernen und Hotels

Andere Armutsflüchtlinge zogen in ein Zeltlager ein, das auf einem Militärareal in der Nähe der Gran-Canaria-Hauptstadt Las Palmas installiert wurde. In den kommenden Wochen sollen weitere ungenutzte Kasernen zu Aufnahmelagern werden. Auf Gran Canaria und den Nachbarinseln wollen die Behörden in Zeltstädten und Militärbaracken 7000 Menschen unterbringen.

Doch ob das reichen wird, ist fraglich: Denn seit Januar wurden auf den Kanaren bereits über 20.000 „Boatpeople“ registriert. Und nach spanischen Geheimdienstberichten warten an der westafrikanischen Küste Zehntausende auf ihre Chance.

Vor allem aus Marokko

Rund zwei Drittel der Ankommenden stammen nach Angaben des Flüchtlingshilfswerkes UNHCR aus Nordafrika, vor allem aus Marokko. Ein Drittel kommt aus den westafrikanischen Armutsländern Senegal, Mauretanien, Elfenbeinküste und Gambia.

In den letzten Tagen verringerten sich zwar die Bootsankünfte. Möglicherweise, weil Wind Wellen die Atlantikroute erschwerten. Vielleicht bremste zudem der Druck, den Spanien auf die Transitländer Marokko, Mauretanien und Senegal ausübt, die Abfahrten. Aber wie lange bleibt dies so?

Steine auf Aufnahmeeinrichtungen

Auf Gran Canaria sorgt die Migrationskrise jetzt schon für große soziale Spannungen. Steine flogen gegen Aufnahmeeinrichtungen. Hassvideos machen die Runde. Barrikaden wurden errichtet, um die Unterbringung von Immigranten zu verhindern.

Auch die provisorische Versorgung in Touristenherbergen stößt in der Öffentlichkeit auf Kritik. Es wird gefürchtet, dass dies einen Sogeffekt auslösen könnte. Und die von der Coronapandemie gebeutelte Tourismusindustrie, die immer noch hofft, dass über Weihnachten doch noch ein paar Urlauber kommen, hat Angst vor einem Imageschaden.

Streit mit der Zentralregierung

Spaniens rechtspopulistische Partei Vox, drittgrößte Fraktion im nationalen Parlament, nutzt die Stimmung und organisiert Proteste gegen die „Migranten-Invasion“. Bisher seien die Brände auf der Insel nur emotionaler Art, warnte die Lokalzeitung „Canarias 7“. Aber dies könne sich bald ändern.

Der soziale Sprengstoff besorgt auch den Chef der kanarischen Regionalregierung, Ángel Víctor Torres. Er rief die Bevölkerung zu Toleranz auf. Allerdings teilt Torres den Ärger der Menschen über die Blockadepolitik der spanischen Regierung. Und er warnt: „Wir dürfen nicht zum Gefängnis Europas werden.“

Keine Überführung auf das Festland

Madrid hatte angekündigt, dass es keine Überführung von irregulären Einwanderern aufs spanische Festland geben werde. Vor allem, um Abschiebungen, die nach dem Ende der Pandemie anlaufen sollen, zu erleichtern.

Herrschen auf den Kanaren also bald Zustände wie auf der griechischen Insel Lesbos? Auf Lesbos hängen ebenfalls tausende Flüchtlinge und Migranten in einem Aufnahmelager fest, weil Athen sich weigert, die Menschen aufs griechische Festland zu bringen.

Eine Strategie, die nicht ohne Risiko ist und nun offenbar auch von Madrid kopiert wird. Doch wohin das führen kann, sah man auf Lesbos. Dort ging im September das große Migrantenlager am Rande des Inselortes Moria in Flammen auf.