Gewissheiten sind in der Corona-Krise ein seltenes Gut geworden. Das gilt auch für die unterschiedlichen Sterblichkeitsraten der Corona-Pandemie. In Ländern wie Italien und Spanien soll die Mortalität infolge einer Covid-19-Infektion wesentlich höher sein als etwa in Deutschland oder Österreich. Italien hatte am Mittwoch insgesamt 7503 Tote gemeldet. In keinem Land gibt es mehr Opfer. In Spanien stieg die Zahl der Toten bis Donnerstag ebenfalls stark an, hier gab es nach Angaben der Behörden bislang rund 4000Menschen, die an Covid-19 starben.

Doch warum hat das Virus an manchen Orten fatalere Wirkung? In Deutschland sind nach offiziellen Angaben bislang 222 Menschen an Covid-19 gestorben, in Österreich 42. In absoluten Zahlen ist der Unterschied zu den südeuropäischen Nachbarn enorm. Setzt man die Opfer ins Verhältnis zur Zahl der Infizierten ergeben sich auch hier klare Unterschiede. In Italien mit knapp 75 000 Angesteckten liegt die Sterblichkeitsquote derzeit bei zehn Prozent, in Spanien (56 188 Infektionen) liegt sie bei gut sieben Prozent, während sie in Deutschland (39 502) bei 0,6 Prozent und in Österreich (6000 Infektionen) ebenfalls niedrig bei 0,7 Prozent liegt.

Deutlich weniger Tests in Südeuropa

Die gängigste Erklärung für den Unterschied der Sterblichkeitsraten liegt in der Zahl der Corona-Tests, die von Land zu Land variieren. So gibt es nach Angaben des Virologen Christian Drosten in Deutschland vergleichsweise viele Tests, er schätzt ihre Zahl auf 500.000 wöchentlich. In Spanien beispielsweise soll der Wert mit 30.000 nur einen Bruchteil davon betragen. Der Zusammenhang ist: Je mehr Abstriche gemacht und je mehr Menschen positiv getestet werden, desto stärker reduziert sich die Sterblichkeitsquote im Vergleich zur Zahl der Infizierten. Italiens Gesundheitsminister Roberto Speranza entschied schon Ende Februar, dass nur noch Abstriche bei Menschen mit Covid-19-Symptomen gemacht werden sollen und nicht mehr bei Personen ohne Beschwerden. Dasselbe geschieht in Spanien. Die Fachleute nehmen an, dass die Dunkelziffer der Infizierten in diesen Ländern wesentlich höher ist. Angelo Borrelli, Chef des italienischen Zivilschutzes, sagte vor Tagen: „Jeder erfassten Ansteckung entsprechen zehn nicht erfasste Infektionen.“

Je nach Land unterschiedliche Zählweise

So erklärt sich der teilweise der Unterschied bei den Quoten. Doch die Unterschiede bei den absoluten Opfer-Zahlen bleiben unklar. Denkbar ist, dass das Virus sich in Deutschland noch nicht so stark ausgebreitet hat, möglicherweise waren Behörden und Mediziner angesichts der Lage in Italien frühzeitig gewarnt. Seit Wochen behaupten italienische Wissenschaftler aber auch, die Differenzen lägen nicht zuletzt an der unterschiedlichen Zählweise je nach Land. „Wann es sich um Covid-19-Tote handelt, ist in den bisher erhältlichen internationalen Berichten nicht klar definiert“, schreiben die italienischen Mediziner Graziano Onder, Giovanni Rezza und Silvio Brusaferro in einem Artikel für die Fachzeitschrift Jama. Diese Tatsache könne die Unterschiede bei der Sterblichkeit erklären. Bei ihren Recherchen stellte sich heraus, dass Corona-Tote in Italien in den meisten Fällen an zwei bis drei weiteren schweren Pathologien litten. Diese Fälle gehen in die italienische Corona-Statistik ein.

In Italien ist deshalb seit Längerem davon die Rede, manche Länder erfassten nur die Toten, die „wegen“ des Corona-Virus verstorben seien, während andere, darunter Italien und Spanien auch Opfer „mit“ Covid-19 (und anderen schweren Krankheiten) in die Statistik aufnehmen. Die These ist insofern interessant, da in Italien nur 0,8 Prozent der Corona-Opfer keine schwere Vorerkrankung aufwies. Diese Zahl nähert sich stark den Sterblichkeitsraten in Deutschland und Österreich an.

Oder ist es doch die Überalterung?

Doch weil sich der Verdacht einer unterschiedlichen Zählweise bisher nicht bestätigt hat, bleibt eine Reihe vager Erklärungsmuster, bei denen Italien und Spanien gerne in einen Topf geworfen werden. Hingewiesen wird etwa auf die Vielzahl von Personen in hohem Alter in Italien und Spanien, das ausgeprägte Sozial- und das generationenübergreifende Zusammenleben der Südländer, die Auswirkung von Luftverschmutzung und der raschen Ansteckung in Ballungsräumen wie in der Lombardei oder in Madrid und auf Mängel im Gesundheitssystem. Welche Bedeutung diese Faktoren haben, wird allerdings erst nach dem Ende der Pandemie feststellbar sein.