Nach der Drohung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, die Grenze zur EU für Flüchtlinge zu öffnen, setzt die EU auf Abschreckung. Die EU-Innenminister sandten bei ihren Sondertreffen am Mittwoch in Brüssel ein eindeutiges Signal an die Türkei und an Flüchtlinge an der Grenze zur EU. "Illegale Grenzübertritte werden nicht toleriert", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung.

Der EU-Außengrenzschutz bleibe entscheidend, betonen die 27 Ressortchefs. Die EU und ihre Mitgliedstaaten würden "alle notwendigen Maßnahmen" ergreifen, um illegale Grenzübertritte zu verhindern. Migranten werden dazu aufgerufen, "nicht ihr Leben durch illegale Grenzübertritte zu Land oder auf dem Meer zu gefährden".

An die Türkei appellieren die EU-Innenminister, das Flüchtlingsabkommen von 2016 voll umzusetzen, "und Aktionen, die menschliches Leben gefährden, zu unterlassen". Die EU wird weiterhin Syrien-Flüchtlinge in der Türkei unterstützen, und erwarte von der Türkei die Einhaltung ihrer Verpflichtungen nach dem Abkommen.

"Robuster Außengrenzschutz"

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) sprach vor dem Sondertreffen von "einem klares Signal für einen robusten Außengrenzschutz". "Diejenigen, die jetzt die EU-Außengrenze schützen, schützen auch die österreichische Grenze und in Wahrheit alle europäischen Binnengrenzen", sagte er. Daher müssten insbesondere Griechenland, aber auch Bulgarien unterstützt werden. Österreich sei bereit, mehr Polizisten zu entsenden und materielle und finanzielle Hilfe zu leisten.

"Überhaupt nicht akzeptabel" sei, "dass die Türkei das Leid von Migrantinnen und Migranten ausnutzt, um Politik machen zu wollen", betonte Nehammer. Die Europäische Union müsse jetzt ein klares Signal setzen: "Die Europäische Union lässt sich nicht erpressen."

"Es war ein hohes Maß an Solidarität mit Griechenland und gleichzeitig auch ein klares Bekenntnis aller, Griechenland bestmöglich zu unterstützen", sagte Nehammer nach der Sitzung in Brüssel.

"Es war allen bewusst, wie ernst die Situation ist", so Nehammer weiter. So habe Konsens unter den EU-Staaten darin bestanden, dass die Situation an der Grenze zu Griechenland bewusst von der Türkei herbeigeführt worden sei. "Es gab Übereinstimmung, dass Europa sich nicht erpressen lassen darf" und dass der EU-Außengrenzschutz wichtig sei. "Fällt die Außengrenze, fällt auch das grenzenlose Europa."

Österreichische Beamte an der Grenze

Nehammer erklärte, Österreich sei bereits mit 14 Frontex-Beamten in Griechenland vertreten. Österreich habe sich darüber hinaus bereit erklärt, weitere Anforderungen zu erfüllen, sobald sie gestellt werden.

In ihrer gemeinsamen Erklärung warfen die EU-Innenminister der Türkei vor, den Migrationsdruck "für politische Zwecke auszunützen. Diese Situation an der EU-Außengrenze ist nicht akzeptabel." Die Minister anerkannten zwar den steigenden Migrationsdruck in der Türkei und die Bemühungen Ankaras zur Beherbergung von 3,7 Millionen Flüchtlingen, äußerten aber die Erwartung, dass die Türkei das Flüchtlingsabkommen mit der EU von 2016 weiter voll umsetzt.

Nehammer erteilte neuerlich der Forderung von Bundespräsident Alexander Van der Bellen nach Aufnahme von Asylsuchenden eine Absage. Österreich habe seit 2015 200.000 Asylanträge zu bewältigen, sagte Nehammer. Alleine 2018 und 2019 habe Österreich 7.000 Kinder und 4.000 Frauen in Grundversorgung und in Asylverfahren gehabt. Für 2020 seien bereits tausend Kinder und Frauen in diesen Verfahren, "Österreich leistet einen großen Beitrag, auch im Vergleich zu vielen anderen europäischen Ländern. Wir haben genug zu tun damit, dass wir die, die da sind, integrieren."So gebe es über 30.000 arbeitslose Asylberechtigte.

Der deutsche Innenminister Horst Seehofer sagte, es gehe um den Außengrenzschutz und die Beruhigung der Lage an der griechisch-türkischen Grenze. Wenn dies erledigt sei, werde man sich "zeitnah" der Frage der Aufnahme von Kindern und Jugendlichen zuwenden. Die Aussetzung von Asylrecht durch Griechenland sei in Ordnung, so Seehofer. "Griechenland erledigt für ganz Europa eine ganz wichtige Aufgabe, nämlich den Schutz unserer Außengrenzen." Für die Aufnahme von Flüchtlingen sei eine europäische Lösung erforderlich, so wie bei der Seenotrettung müssten aber nicht alle mitmachen. Seehofer hatte sich zuvor für eine "Koalition der Willigen" in der EU ausgesprochen, um das Problem der Kinder und Jugendlichen in griechischen Flüchtlingslagern zu lösen.

Der für Migration zuständige EU-Kommissar Margaritis Schinas warnte, Europa dürfe in der Migrationsfrage nicht ein zweites Mal scheitern. Die EU-Kommission werde den Innenministern einen Sechs-Punkte-Aktionsplan vorlegen, um Griechenland in der aktuellen Situation zu unterstützen. In den nächsten Wochen werde die EU-Kommission einen neuen "Pakt für Asyl und Migration" vorschlagen.

Asselborn kritisiert Kurz

Der luxemburgische Migrations- und Außenminister Jean Asselborn sagte: "Bei allem Respekt für die Türkei und ihren Präsidenten, bis jetzt 3,7 Millionen Syrer aufgenommen zu haben, geht das jetzt gegen die Wand. Man kann nicht mit Erpressung operieren."

Asselborn kündigte an, Luxemburg werde in Zusammenarbeit mit dem UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und Griechenland zehn Flüchtlingskinder aufnehmen. Dabei übte der luxemburgische Sozialdemokrat auch Kritik an der Haltung von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Es sei "unmenschlich und uneuropäisch", die Augen bei der Seenotrettung zuzumachen. Nur sechs bis acht Länder würden hier helfen. "Ich kann nicht verstehen, dass man europäisch ist, dass man für die Menschenrechte ist, dass man christlich ist und weiß was noch alles und einfach auf die andere Seite schaut. Jedes Mitgliedsland der Europäischen Union hat seine Pflicht zu tun", kritisierte Asselborn.