Die Zwangspause ist beendet, das britische Parlament wieder da: Nach der Aufhebung der Parlamentspause durch das Oberste Gericht muss sich der britische Premierminister Boris Johnson seit heute wieder mit den Volksvertretern auseinandersetzen, die ihm im Brexit-Streit schon mehrere schwere Niederlagen eingebracht haben.

Die oppositionelle Labour-Partei verfolgt weiter vorrangig den Kurs, einen EU-Austritt Großbritanniens ohne Abkommen zum 31. Oktober zu verhindern.

Die Arbeit des Londoner Unterhauses begann auf Einladung von Parlamentspräsident John Bercow um 12.30 Uhr (MESZ), das Oberhaus trat am Nachmittag wieder zusammen. Johnson kehrte kurz zuvor von einem Besuch bei der UNO in New York nach London zurück. Er wollte sich am Nachmittag an die Abgeordneten wenden und sich ihnen gegenüber noch einmal zu dem Gerichtsentscheid äußern.

Johnson hatte die Zwangspause des Parlaments angeordnet, was ihm den Vorwurf der Opposition eintrug, er wolle mitten im Brexit-Machtkampf das Parlament mundtot machen. Nach Johnsons Plan hätte die Pause vom 10. September bis zum 14. Oktober dauern sollen.

Mit der Fortsetzung der Arbeit ist die Position des Parlaments im Ringen um den Brexit nun gestärkt. Vor dem Beginn der Zwangspause hatten die Abgeordneten ein Gesetz verabschiedet, das Johnson daran hindern soll, einen EU-Austritt Großbritanniens ohne Abkommen (No-Deal-Brexit) durchzusetzen.

Frist bis 19. Oktober

Der Regierung wird darin eine Frist bis zum 19. Oktober gesetzt. Wenn bis zu diesem Datum kein Brexit-Abkommen mit der EU vereinbart ist, muss der Premierminister in Brüssel eine dreimonatige Verschiebung des für den 31. Oktober geplanten EU-Austritt Großbritanniens beantragen.

Der Brexit-Hardliner Michael Gove, der im Kabinett für die No-Deal-Brexit-Planungen zuständig ist, kündigte an, die Planungen für das weitere Vorgehen am Mittwoch im Parlament vorzustellen. Gove sagte dem Sender BBC, die Regierung müsse sich seiner Ansicht nach nicht dafür "entschuldigen, unseren Austritt aus der Europäischen Union voranzubringen".

Generalstaatsanwalt Geoffrey Cox hält das Urteil des Obersten Gerichts zur Zwangspause des Parlaments für einen Akt richterlicher Gesetzgebung. Er akzeptiere, dass "wir verloren haben". Gleichzeitig warf er dem Parlament vor, ein "totes" zu sein. Die Abgeordneten hätten kein Recht, in den grünen Bänken zu sitzen. "Dieses Parlament ist eine Schande", so Cox laut "The Guardian". Die Abgeordneten hätten bisher alles abgelehnt, dies sei feig.

Die oppositionellen Liberaldemokraten forderten Johnson auf, sich an die Gesetze zu halten.

Oppositionsführer Jeremy Corbyn von der Labour-Partei forderte Johnson am Dienstag zum Rücktritt auf. Die "höchste Priorität" liege für Labour derzeit jedoch darin, einen Brexit ohne Abkommen am 31. Oktober zu verhindern, sagte Corbyn der BBC. Außerdem müsse sich Johnson bei der Queen entschuldigen.

Johnson werde in der neuen Konstellation einem "verstärkten Druck" unterliegen, sagte Robert Craig, Verfassungsrechtler an der London School of Economics. Der Regierungschef müsse mit einem Misstrauensantrag rechnen - aber auch mit der Verabschiedung von Gesetzen, die seinen Handlungsspielraum weiter einschränkten.