Bei der Pressekonferenz der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Berlin ist es zu einem Zwischenfall gekommen. Ein Mann wurde am Freitag im Kanzleramt in Berlin vor laufenden Kameras abgeführt. Erdogan lächelte zunächst nur. Die Hintergründe blieben zunächst unklar. Der türkische Präsident hält sich zu einem Staatsbesuch in Deutschland auf.

Bei dem Mann, der abgeführt wurde, handelte es sich um den Journalisten Ertugrul Yigit, der ein T-Shirt mit der Aufschrift "Gazetecilere Özgürlük - Freiheit für Journalisten in der Türkei" trug. Er wurde vor laufenden Kameras von Sicherheitsleuten abgeführt.

"Ich habe nichts getan", rief der Mann, der eine Akkreditierung für die Pressekonferenz trug. Augenzeugen sagten, er habe vor dem Einsatz noch ruhig fotografiert.

"Freiheit für Journalisten in der Türkei"
"Freiheit für Journalisten in der Türkei" © APA/AFP/TOBIAS SCHWARZ

"Tiefgreifende Differenzen"

Merkel hat nach Gesprächen mit Erdogan Kritik an der Lage in der Türkei geäußert. Es gebe weiterhin "tiefgreifende Differenzen", sagte die CDU-Politikerin bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Erdogan am Freitag in Berlin. Sie nannte die Lage der Pressefreiheit und der Menschenrechte. Merkel mahnte zu einer raschen Lösung für die in der Türkei inhaftierten deutschen Staatsbürger. "Ich habe darauf gedrängt, dass auch diese Fälle möglichst schnell gelöst werden können", sagte sie.

Merkel betonte aber auch gemeinsame Interessen mit der Türkei. "Wir haben vieles, was uns eint", sagte sie. Die Regierungschefin nannte die Partnerschaft in der NATO, Fragen der Migration und den Kampf gegen Terrorismus. Laut Merkel ist ein Treffen zu Syrien mit ihr, dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, Russlands Staatschef Wladimir Putin und Erdogan in Vorbereitung. Bei dem Treffen im Oktober solle die kritische Situation um die letzte Rebellenhochburg Idlib im Mittelpunkt stehen.

Erdogan wiederum forderte die Auslieferung von Anhängern des im US-Exil lebenden Predigers Fethullah Gülen von Deutschland. Erdogan macht Gülen für den Putschversuch vom Juli 2016 verantwortlich.

Erdogan forderte von Deutschland einen entschlosseneren Kampf gegen den Terrorismus. Darüber habe er auch mit Merkel gesprochen, sagte Erdogan auf der gemeinsamen Pressekonferenz. Er äußerte aber zugleich seine Zufriedenheit über die Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus. In Deutschland hielten sich "Tausende Mitglieder der PKK-Terrororganisation" auf, sagte Erdogan. Zudem seien "Hunderte" Anhänger der Gülen-Bewegung in Deutschland.

Bereits vor dem Besuch hatte die türkische Regierung nach Medienberichten die Auslieferung von in der Türkei unter Terrorverdacht Gesuchten gefordert. Auch der wegen Verrats verurteilte Journalist Can Dündar ist auf der Liste. Er lebt im Exil in Deutschland und hatte seine Teilnahme an der Pressekonferenz kurzfristig abgesagt. Erdogan bestätigte, dass sein Land offiziell ein Auslieferungsersuchen für Dündar gestellt hat. Dündar sei "ein Spion, der Staatsgeheimnisse veröffentlicht hat", sagte er. Daher müsse der ehemalige Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung "Cumhuriyet" an die Türkei ausgeliefert werden.

Die Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) hatte Merkel und den deutschen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dazu aufgefordert, bei ihren Gesprächen mit Erdogan auf Pressefreiheit in der Türkei zu dringen. Sie müssten bei dem Staatsbesuch Erdogans "die prekären Arbeitsbedingungen für Medien in der Türkei mit Nachdruck anprangern", sagte ROG-Chef Christian Mihr bei einer Kundgebung für in der Türkei inhaftierte Journalisten am Freitag in Berlin. Er forderte Merkel und Steinmeier zudem dazu auf, sich auch öffentlich und nicht nur hinter den Kulissen für Journalisten im Gefängnis einzusetzen. "Eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei darf es nicht geben, solange die beispiellose Unterdrückung der Pressefreiheit in der Türkei anhält", mahnte Mihr bei der Kundgebung am Berliner Hauptbahnhof, an der laut ROG mehr als hundert Menschen teilnahmen.

Bei zahlreichen Veranstaltungen wollen am Freitag Tausende Menschen gegen den Erdogan-Besuch demonstrieren. Allein zu einer Großdemonstration "Erdogan not welcome" am Potsdamer Platz in Berlin erwarten die Veranstalter am Nachmittag rund zehntausend Teilnehmer. Am Donnerstag war Erdogan zu dem dreitägigen Besuch eingetroffen. Am Freitagmorgen wurde er von Steinmeier mit militärischen Ehren im Schloss Bellevue empfangen. Später traf er Merkel zum Mittagessen.