Eine außergewöhnlich feinfühlige und scharfsichtige Autorin, ihre Romane sind vollendete Werke.“ Sagt kein Geringerer als Orhan Pamuk. Der Literaturnobelpreisträger aus 2006 ist wegen seiner kritischen Haltung – etwa in der Armenien-Frage – selbst immer wieder Zielscheibe türkischer Nationalisten.

Nun hat der nach dem jüngsten Putschversuch noch längere Arm der Regierung seine Kollegin erwischt: Aslı Erdoğan. Die Schriftstellerin wurde, wie berichtet, Dienstagnacht in ihrer Wohnung in Istanbul festgenommen. Gleichzeitig kamen 23 Journalisten der kurdischen Zeitung „Özgür Gündem“ in Haft, in der die 49-Jährige regelmäßig veröffentlicht und im Beratungsrat sitzt.


Wo man Erdogan festhält, war zunächst unklar. Wie die „Hürriyet Daily News“ berichtete, wurde die Autorin zwischenzeitlich in eine Klinik gebracht, weil sie – angeblich durch eine frühere Polizeifolter – an chronischen Krankheiten leide: „Sie braucht regelmäßig Medikamente. Freunde versuchen, sie ihr irgendwie zukommen zu lassen.“

Am Freitag wurde Aslı Erdoğan von der Staatsanwaltschaft Çağlayan/Istanbul vernommen und anschließend dem Haftrichter vorgeführt, dieser erließ Haftbefehl, die Autorin wurde ins Gefängnis von Bakırköy/Istanbul überstellt. Laut Yusuf Yesilöz werden Erdogan absurde Dinge vorgeworfen: "Propaganda für eine illegale Organisation, Mitgliedschaft bei einer illegalen Organisation und Volksverhetzung-- das sind schwere Delikte", weiß der 52-jährige Schweizer Schriftsteller mit kurdischen Wurzeln, der im Vorstand des Deutsch-Schweizer Pen-Zentrums sitzt. Als Beweismittel sollen den Justizbehörden ihre Kolumnen und Artikel genügen.

Bevor Aslı Erdogan zu schreiben begann, hatte sie als erst 24-jährige Physikerin am Higgs-Teilchen mitgeforscht, das man ja am Cern in Genf 2012 tatsächlich fand, und auch in Rio de Janeiro als Wissenschaftlerin gearbeitet. In ihrem Roman „Die Stadt mit der roten Pelerine“ schildert sie die Odyssee einer introvertierten türkischen Jungakademikerin in den Labyrinthen der brasilianischen Metropole, in der ihr so fremden Kultur und Gesellschaft.
Schon 2011 wurde es für Systemkritiker wie Erdogan durch die Willkür türkischer Behörden zu brenzlig, also suchte sie Schutz in Zürich, Paris und – 2012/13 als „Writer in exile“ – in Graz. „Wie eine Hirtenflöte, die alle Wörter der Stadt zu sich ruft, stehe ich vor dem Fenster der Existenz und suche mir ein Schicksal. Hier wünsche ich mir von der Ewigkeit des Fegefeuers noch einen Morgen“, hatte Aslı Erdoğan in einer Kolumnenserie in der „Neuen Zürcher Zeitung“ geschrieben. Dennoch blieb sie auch nach ihrer Rückkehr an den Bosporus als Kämpferin für Minderheiten, für Verfolgte, für Frauenrechte mutig immer nah am Feuer. Das allerdings züngelt jetzt höher denn je.