So sieht es aus, wenn Flüchtlingszahlen Gesichter bekommen: Das Unicef-Foto 2015 ist wohl eine der erschütterndsten Bestandsaufnahmen des Jahres. Der mazedonische Fotojournalist Georgi Licovski hat im August festgehalten, wie zwei Kinder zwischen drängenden Menschen und Grenzsoldaten von ihren Eltern getrennt werden. Das bitterlich weinende Mädchen hält die Hand des jüngeren Buben fest umklammert. Sie scheint Panik zu haben, dass sie auch ihn noch verliert. Beiden Kindern sind Angst und Verzweiflung ins Gesicht geschrieben.

Fotograf Georgi Licovski

Fotograf Georgi Licovski sagt, dass er schon viel Elend in seinem Leben gesehen habe, beim Zerfall Jugoslawiens, bei der Vertreibung Hunderttausender aus dem Kosovo. Aber was er heuer an der griechisch-mazedonischen Grenze erlebt habe, sei unfassbar brutal gewesen.

Jeder zweite Flüchtling: Kind oder Jugendlicher

Nach aktuellen Angaben des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR steuert die Welt in diesem Jahr auf einen neuen Flüchtlingsrekord zu. 2015 dürften nach Schätzung der Vereinten Nationen erstmals mehr als 60 Millionen Menschen auf der Flucht sein. Einer von 122 Menschen weltweit wäre damit Flüchtling, Asylsuchender oder innerhalb seines Heimatlandes auf der Flucht, teilte das Flüchtlingshilfswerk am Freitag mit. Jeder zweite Mensch, listet das Kinderhilfswerk Unicef auf, ist ein Kind oder Jugendlicher.

An der griechisch-mazedonischen Grenze
An der griechisch-mazedonischen Grenze © APA/AFP/ARMEND NIMANI

Nach Schätzungen des UNO-Kinderhilfswerks UNICEF wurden 2015 mehr als 16,6 Millionen Babys in Konfliktgebieten geboren. Es handle sich damit um eine von acht Geburten auf der Welt. "Kann es einen schlimmeren Start ins Leben geben?", fragte UNICEF-Direktor Anthony Lake vor Journalisten in New York.

Syrien, Irak, Afghanistan...

Konfliktgebiete gibt es zahlreiche - von Syrien und dem Irak über Afghanistan bis zum Südsudan, der Zentralafrikanischen Republik und dem Jemen. 2015 suchten allein zwischen Jänner und September mehr als 200.000 Kinder in der EU um Asyl an. Weltweit seien im Vorjahr sogar 30 Millionen Kinder aus ihrer Heimat vertrieben gewesen - seit dem Zweiten Weltkrieg gab es nicht mehr so viele Vertriebene.

Trauriger Rekord

Die Schätzung basiert auf dem UNHCR-Halbjahresbericht, der die ersten sechs Monate dieses Jahres abbildet. Demnach überstieg die Zahl der Flüchtlinge Mitte 2015 mit 20,2 Millionen Menschen weltweit zum ersten Mal seit 1992 die 20-Millionen-Marke. Geschätzte 34 Millionen Menschen seien Binnenvertriebene gewesen.

Die Zahl der Asylanträge sei im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 78 Prozent auf 993.600 gestiegen. Die meisten Anträge seien in Deutschland gestellt worden. Mit 159.000 seien es in der ersten Jahreshälfte fast genauso viel wie im gesamten Jahr 2014 gewesen. Dabei spiegle der Bericht die aktuellen Fluchtbewegungen über das Mittelmeer nach Europa nur teilweise wider, da die Ankünfte erst in der zweiten Jahreshälfte stark angestiegen seien.

"Es war nie wichtiger, Toleranz, Mitgefühl und Solidarität gegenüber den Menschen zu zeigen, die alles verloren haben", erklärte UNO-Flüchtlingskommissar António Guterres.