Vor dem EU-Gipfeltreffen in Brüssel hat Innenkommissar Dimitris Avramopoulos vor einem Scheitern des Schengen-Abkommens und daraus resultierenden negativen Folgen für die EU gewarnt. "Schengen muss gewahrt und sogar ausgebaut werden", sagte Avramopoulos. "Wenn Schengen in Gefahr gerät, steht auch das Projekt Europa auf dem Spiel".

Der Grieche hält "weder völlig offene noch völlig geschlossene Grenzen für realistisch". Der Flüchtlingsandrang in den vergangenen Monaten habe gezeigt, dass die EU einen anderen Ansatz brauche. "Deswegen haben wir eine breiter angelegte Verfahrensweise in Form eines europäischen Grenz- und Küstenschutzsystems vorgeschlagen", sagte Avramopoulos. Dabei gehe es aber nicht darum, eine "Festung Europa" zu schaffen.

Letzter Gipfel in diesem Jahr

Die EU-Staats- und Regierungschefs kommen am Nachmittag in Brüssel zu ihrem letzten Gipfeltreffen in diesem Jahr zusammen. Das zweitägige Treffen wird erneut von der Flüchtlingskrise dominiert. Die Runde befasst sich unter anderem mit den umstrittenen Plänen für einen gemeinsamen Grenz- und Küstenschutz. Er soll aus Sicht der EU-Kommission auch gegen den Willen von Mitgliedstaaten eingreifen können, um die EU-Außengrenzen zu sichern.

Der tschechische Präsident Milos Zeman hatte die EU-Länder am Tag vor dem Gipfel dazu aufgefordert, mehr in die Sicherung der Schengen-Außengrenze anstatt in die Aufnahme von Flüchtlingen zu investieren. Muslime sollen überhaupt nicht mehr nach Europa kommen, "denn sobald sie nach Europa kommen, stoßen zwei Kulturen aufeinander, die nicht miteinander vereinbar sind".

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zeigte sich vor dem Gipfel davon überzeugt, dass es gelingen werde, die Reisefreiheit innerhalb Europas zu erhalten: "Schengen wird bleiben!"

"Reparaturmechanismus"

Den Vorschlag der EU-Kommission zum Aufbau eines Grenz- und Küstenschutzes bezeichnete Juncker als "Reparaturmechanismus" für das Schengensystem. Der Plan sieht vor, dass Beamte der EU-Agentur Frontex die Außengrenzen Europas kontrollieren sollen - auch gegen den Willen von Staaten wie Griechenland. Juncker betonte jedoch, die EU-Staaten würden ihre Hoheitsrechte an den Außengrenzen behalten.

Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann hatte sich für die Umsiedelung von 50.000 syrischen Flüchtlingen von der Türkei in die EU ausgesprochen. Dies sei aber nur dann eine Option, "wenn der Grenzschutz in der Türkei künftig so funktioniert, dass nur noch sehr wenige Flüchtlinge von dort in die EU gelangen." 

Lokalaugenschein in Schengen

Die FAZ nahm die aktuelle Diskussion zum Anlass, einen Lokalaugenschein im belgischen Ort Schengen vorzunehmen, der zum Symbol für die Reisefreiheit in Europa geworden ist.