In der Geheimdienstaffäre sieht sich die deutsche Bundesregierung dem Vorwurf der Irreführung des Parlaments ausgesetzt. Noch Mitte April hatte das deutsche Innenministerium auf eine Anfrage der Linksfraktion geantwortet, dass sie keine Erkenntnisse über Wirtschaftsspionage durch US-Geheimdienste habe.

Das Kanzleramt wehrt sich gegen den Vorwurf der Lüge. Wie deutsche Medien berichten, sind unter den Ausgespähten hochrangige Beamte von Frankreichs Außenministerium und Präsidentenamt sowie der EU-Kommission.

Linke und Grüne bezichtigten die Bundesregierung deswegen am Mittwoch der Lüge. Die Regierung wies den Vorwurf zurück, kündigte aber eine "Überprüfung" ihrer früheren Angaben an.

Der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere (CDU), der in der Affäre auch wegen seiner früheren Tätigkeit als Kanzleramtsminister zunehmend unter Druck gerät, sprach von "Unterstellungen". Er sagte zu, möglichst bald vor den zuständigen Bundestags-Gremien auszusagen. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte: "Die Behauptung, die Bundesregierung habe die Unwahrheit gesagt, weise ich ausdrücklich zurück."

"Keine Erkenntnisse" vorliegend

In der Debatte geht es um die offizielle Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion im Bundestag. In dem auf den 14. April datierten Schreiben aus de Maizieres Ministerium findet sich der Satz: "Es liegen weiterhin keine Erkenntnisse zu angeblicher Wirtschaftsspionage durch die NSA oder anderen US-Diensten in anderen Staaten vor."

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Nach Angaben der Opposition war das Bundeskanzleramt zu diesem Zeitpunkt aber schon längst darüber informiert, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) dem US-Dienst NSA bei Spähaktionen geholfen haben soll, die sich auch gegen befreundete Staaten und Unternehmen richteten. Vizeregierungssprecherin Christiane Wirtz hatte am Montag in allgemeiner Form gesagt, dass der Bundesregierung die "neuen Erkenntnisse" in der Angelegenheit im März zugegangen seien.

Das Parlament sei "nach Strich und Faden belogen worden", sagte der Grünen-Abgeordnete Christian Ströbele der "Saarbrücker Zeitung" (Donnerstagsausgabe). Linken-Vizefraktionschefin Sahra Wagenknecht nannte de Maiziere "völlig untragbar".

Seibert argumentierte am Mittwoch, dass die Angaben von Mitte April an die Linksfraktion damals korrekt den Kenntnisstand der Bundesregierung widergespiegelt hätten. Ob die Angaben nach neuesten Erkenntnissen immer noch Bestand haben, werde nun geprüft.

Seibert betonte, die Antwort an die Linksfraktion sei zwar vom Innenministerium koordiniert worden, aber auch das Bundeskanzleramt habe Angaben zugeliefert.

Die SPD forderte das CDU-geführte Kanzleramt auf, dem Untersuchungsausschuss des Bundestags bis kommende Woche detaillierte Angaben zur Zusammenarbeit zwischen BND und NSA vorzulegen. Dabei gehe es auch um eine Liste mit den Zielen der Spähaktionen, erklärte der SPD-Abgeordnete Christian Flisek. Nach Informationen der "Bild am Sonntag" will die Bundesregierung die Liste der sogenannten Selektoren aber erst nach Absprache mit der NSA herausgeben.

"Verhältnis belastet"

Auch die Industrie forderte eine Klärung. "Das Verhältnis zwischen Staat und Industrie ist erheblich belastet", sagte Ulrich Grillo, der Chef des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI), zu "Spiegel Online". Die Bundesregierung müsse den Verdacht der Wirtschaftsspionage zügig klären.

Medienberichten zufolge benutzte die NSA die BND-Abhöranlagen allerdings vor allem für Spionage gegen europäische Staaten. Wie die "Süddeutsche Zeitung" und die Rundfunksender NDR und WDR am Mittwochabend berichteten, sind unter den Ausgespähten hochrangige Beamte von Frankreichs Außenministerium und Präsidentenamt sowie der EU-Kommission.